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Clovis Dardentor

Clovis Dardentor

Titel: Clovis Dardentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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weiß ich nicht recht, was es bedeuten soll.«
    »Herr Dardentor«, ergriff Doktor Bruno wieder das
    Wort, »einen Exzeß begehen, das bedeutet, seinen Leib wie
    seinen Geist unbedacht mißbrauchen, indem man unmä-
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    ßig, ungestüm, achtlos dahinlebt und sich vor allem den
    Tafelfreuden zuviel hingibt . . . einer bedauerlichen Leiden-
    schaft, die den Magen über kurz oder lang ruiniert . . .«
    »Was haben Sie wieder . . . den Magen?« fragte Clovis
    Dardentor im ernsthaftesten Ton.
    »Sie wissen nicht, was das ist?« rief Doktor Bruno. »Sap-
    perment, ein Organ, das dazu dient, die Gastralgien, Gastri-
    ten, Gastrozellen, Gastroenteriten, die Endogastriten und
    die Exogastriten zu fabrizieren!«
    Während er so diesen Rosenkranz von Ausdrücken ab-
    betete, die alle das (griechische) Wort »Gaster« zum Stamm
    haben, schien er ganz glücklich zu sein, daß der Magen zu
    sovielen Spezialkrankheiten Veranlassung gebe.
    Kurz, Clovis Dardentor blieb bei der Behauptung, daß
    ihm alles, was eine Verschlechterung des Gesundheitszu-
    stands bedeutete, ganz unbekannt sei, und da er sich wei-
    gerte zuzugestehen, daß jene Worte überhaupt eine Bedeu-
    tung hätten, richtete Jean Taconnat, dem die Sache viel Spaß
    machte, an den Starrkopf noch die Frage:
    »Sie hätten also niemals eine flotte Zecherei* mitge-
    macht?«
    »Nein . . . weil ich mich niemals verheiratet* habe!«
    Die Trompetenstimme dieses Originals ging dabei in ein
    so lautes Lachen über, daß die Gläser auf dem Tisch erklan-
    * Im Original ein im Deutschen nicht wiederzugebendes Wort-
    spiel, da » la noce « »ein lustiges Zechgelage«, doch auch » die Hoch-
    zeit « bedeutet. Der Übers.
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    gen, als würden sie von einer Schlingerbewegung des Schif-
    fes gerüttelt.
    Es schien also unmöglich zu erfahren, ob dieser unfaß-
    bare Dardentor der Prototyp der Nüchternheit gewesen sei
    oder nicht, ob er die unerschütterte Gesundheit, deren er
    sich erfreute, seiner gewohnten Mäßigkeit oder einer ei-
    sernen Konstitution, die kein Mißbrauch zu zerstören ver-
    mochte, zu verdanken habe.
    »Aha, mein Herr Dardentor«, bekannte Kapitän Buga-
    rach, »ich sehe, daß die Natur Sie aufgebaut hat, um einen
    unserer zukünftigen Hundertjährigen zu schaffen!«
    »Und warum denn nicht, Herr Kapitän?«
    »Ja, warum nicht?« wiederholte Marcel Lornans.
    »Wenn eine Maschine solide konstruiert, gut ausbalan-
    ciert ist, reichlich geölt und nach Gebühr instand gehalten
    wird«, fuhr Clovis Dardentor fort, »begreif ’ ich nicht, wa-
    rum sie nicht für immer aushalten sollte.«
    »Gewiß«, erklärte Jean Taconnat zustimmend, »und
    wenn es einem nie an dem nötigen Heizmaterial fehlt . . .«
    »Daran wird mir’s niemals fehlen!« rief Clovis Darden-
    tor, indem er an seiner Hosentasche schüttelte, die einen
    metallenen Klang von sich gab. »Und nun, meine Herren,
    sind Sie damit fertig, mir blauen Dunst vorzumachen?«
    »Nein!« erklärte Doktor Bruno.
    Er versteifte sich darauf, den Perpignaneser an die Wand
    zu drücken.
    »Weit gefehlt, lieber Herr, weit gefehlt! Es gibt keine Ma-
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    schine, die sich nicht abnützt, und keinen so guten Mecha-
    nismus, daß er nicht zuletzt einmal entzwei ginge . . .«
    »Das hängt vom Maschinisten ab!« entgegnete Clovis
    Dardentor, der sein Glas wieder bis zum Rand füllte.
    »Am letzten Ende«, fuhr der Doktor fort, »mein’ ich, Sie
    werden doch einmal sterben.«
    »Warum soll ich denn sterben, da ich doch niemals einen
    Arzt konsultiert habe? . . . Ihr Wohlsein, meine Herren!«
    Und in der allgemeinen Heiterkeit stieß er, sein Glas er-
    hebend, lustig mit den Tischgenossen an und leerte es auf
    einen Zug. Die laute, erhitzte, betäubende Unterhaltung zog
    sich so bis zum Nachtisch hin, dessen Vielgestaltigkeit an-
    stelle der früheren Zwischenspeisen trat.
    Der lustige Lärm von der Tafel mochte wohl die un-
    glücklichen Passagiere nicht wenig belästigen, die in den
    Kabinen neben dem Salon ausgestreckt lagen und deren
    Beschwerden jene übermütige Nachbarschaft gewiß nicht
    zu lindern geeignet war.
    Wiederholt hatte sich Herr Désirandelle auf der Schwelle
    des Speisesalons gezeigt. Da das Essen für ihn und seine
    Gattin im Fahrpreis inbegriffen war, kam es ihn schwer an,
    seinen Teil davon nicht verzehren zu können. Kaum hatte
    er aber die Tür geöffnet, da überfiel ihn vom Magen aus
    wieder der Schwindel und er eilte Hals über Kopf nach dem
    Verdeck zurück.
    Sein

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