Clovis Dardentor
Bruno dring-
licher, »haben Sie in dieser Weise für einen Unmündigen
aus Ihrer Bekanntschaft Sorge getragen?«
»Daß ich nicht wüßte!«
»Dann«, erklärte Jean Taconnat, »bleibt Ihnen nichts an-
deres übrig, als Ihr Vermögen zur Gründung einer Ihren
Namen führenden Wohltätigkeitsanstalt zu verwenden.«
»Das verlangt das Gesetz?« fragte der Perpignaneser et-
was kleinlauter.
»Ja, ganz unzweideutig«, versicherte Marcel Lornans.
Clovis Dardentor hatte die Enttäuschung, die ihm diese
gesetzliche Forderung bereitete, gar nicht zu verhehlen ge-
sucht. Es wäre ihm ein so leichtes gewesen, 6 Jahre lang für
die Bedürfnisse und die Erziehung eines Minderjährigen
einzutreten. Daß er sich darum nicht gekümmert hatte!
Freilich, wie konnte er sich vergewissern, eine gute Wahl
zu treffen, wenn er sich an junge Leute halten mußte, die
— 83 —
für die Zukunft noch keine Garantie boten! . . . Kurz, er
hatte mit keiner Silbe daran gedacht! . . . Doch war das un-
abweislich und führte ihn Marcel Lornans nicht etwa hin-
ters Licht?
»Sie versichern mir also, daß das Zivilgesetzbuch . . .?«
fragte er noch einmal.
»Ich versichere es Ihnen«, antwortete Marcel Lornans.
»Lesen Sie doch selbst nach . . . Titel von der Adoption, Arti-
kel 345. Dort ist diese Bedingung als ausschlaggebend hin-
gestellt, wenn das betreffende Individuum nicht etwa . . .«
»Nicht etwa . . . was?« wiederholte Clovis Dardentor.
Sein Gesicht klärte sich etwas auf.
»Nun vorwärts . . . schnell!« rief er. »Sie quälen mich mit
Ihren Hintertüren, mit solchen ›wenn nicht etwa‹ . . .«
»Nun«, fuhr Marcel Lornans fort, »wenn das Indivi-
duum, das adoptiert werden soll, nicht etwa das Leben des
Adoptanten, sei es im Kampf, sei es aus dem Wasser oder
den Flammen, gerettet hatte, wie es im Gesetzbuch heißt.«
»Ich bin aber noch nie ins Wasser gefallen und werde
auch niemals hineinfallen«, antwortete Clovis Dardentor.
»Das kann Ihnen ebensogut wie jedem anderen wider-
fahren«, erklärte Jean Taconnat.
»Ich hoffe, in meinem Haus bricht niemals Feuer aus!«
»Ihr Haus kann ebensogut wie jedes andere abbrennen,
und wenn nicht gerade Ihr eigenes Haus, so doch zum Bei-
spiel ein Theater, worin Sie sich befinden, ja sogar dieser
Dampfer, wenn an Bord Feuer ausbräche . . .«
»Gut, meine Herren, bezüglich des Feuers und des Was-
— 84 —
sers mögen Sie recht haben; doch was einen Kampf betrifft,
würde es mich verwundern, dabei jemals Hilfe nötig zu ha-
ben. Noch besitz’ ich ein paar tüchtige Arme und Beine, die
Hilfe und Unterstützung von niemand brauchen.«
»Wer weiß?« antwortete Jean Taconnat.
Jedenfalls hatte Marcel Lornans im Lauf dieses Ge-
sprächs die Vorschriften, die der Titel VIII des Zivilgesetz-
buchs enthält, klar dargelegt. Von einigen anderen hatte er
als zunächst nutzlos geschwiegen. So ließ er zum Beispiel
unerwähnt, daß in dem Fall, wo der Adoptant verheiratet
ist, der andere Teil seine Zustimmung zur Adoption geben
müsse – Clovis Dardentor war ja Junggeselle –, ebenso, daß
die Einwilligung der Eltern nachgewiesen sein müsse, wenn
der zu Adoptierende noch nicht 25 Jahre alt war.
Es erschien zur Zeit übrigens schwierig, daß Clovis Dar-
dentor seinen Traum, sich eine Familie von Adoptivkindern
zu gründen, verwirklichen könnte. Ohne Zweifel konnte
er sich zwar einen älteren Knaben aussuchen, 6 Jahre lang
für ihn sorgen und ihn sorgfältig erziehen lassen, um ihm
schließlich seinen Namen und seine Berechtigung als legi-
timer Erbe zu verleihen. Doch wie vielerlei Gefahren setzte
er sich dabei aus! Entschied er sich dafür aber nicht, dann
kamen nur die drei, vom Gesetz angeführten Fälle noch in
Frage, er mußte aus einem Kampf, aus dem Wasser oder
den Flammen gerettet werden. Lag denn nun eine Wahr-
scheinlichkeit vor, daß dergleichen einem Mann wie Clo-
vis Dardentor widerfahren könnte? . . . Er selbst glaubte es
nicht, und kein anderer hätte es geglaubt.
— 85 —
Die Tischgäste wechselten noch einige Worte, die reich-
lich mit Champagner begleitet wurden. Unser Perpignane-
ser war die Zielscheibe für manchen Witz, worüber er selbst
am meisten lachte. Wollte er nicht, daß sein Vermögen ver-
fiel, lehnte er es ab, den Staat zu dessen einzigem Erben zu
machen, so mußte er wohl oder übel dem Rat Taconnats
folgen und sein Hab und Gut einer milden Stiftung verma-
chen. Übrigens stand es ihm
Weitere Kostenlose Bücher