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Clovis Dardentor

Clovis Dardentor

Titel: Clovis Dardentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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der
    ›Argèlès‹; nimm einmal an, Herr Dardentor fiele ins Was-
    ser . . .«
    — 93 —
    »Oh, du wirst ihn doch nicht über Bord werfen wollen
    . . .«»Nun, nehmen wir an, er fiele hinein ... Du und ich, wir
    springen ihm nach wie ein heroischer Neufundländer, er
    wird durch besagten Neufundländer gerettet und er macht
    aus besagtem Neufundländer einen Hund . . . nein . . . ein
    Adoptivkind . . .«
    »Du hast gut reden, Jean, du kannst schwimmen, ich
    kann es nicht, und wenn ich nur diese Gelegenheit finde,
    den vortrefflichen Herrn zu retten . . .«
    »Ganz richtig, Marcel. Ich werde meine Sache auf dem
    Meer machen, du die deine auf dem Land. Über eines wol-
    len wir uns aber im voraus verständigen: Wenn du Marcel
    Dardentor wirst, werde ich nicht eifersüchtig sein; fiele mir
    aber dieser prächtige Name zu . . . wenn nicht uns beiden
    . . .«»Darauf mag ich dir gar nicht antworten, mein armer
    Jean!«
    »Ich erlasse dir’s auch unter der Bedingung, daß du mich
    schalten und walten läßt, mir keine Hindernisse bereitest
    . . .«»Was mich beunruhigt, Jean«, unterbrach ihn Marcel
    Lornans, »ist allein, daß du diesen Zwiebelzopf von Torhei-
    ten mit einem an dir ganz ungewöhnlichen Ernst abhaspelst
    . . .«»Weil die Sache höchst ernsthaft ist. Übrigens beruhige
    dich nur, ich werde die Geschichte von der lustigen Seite
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    her anfassen, und wenn ich scheitere . . . na, da blas’ ich mir
    das Gehirn auch noch nicht aus dem Schädel.«
    »Hast du denn noch welches darin?«
    »Oh . . . noch ein paar Gramm!«
    »Ich wiederhole dir, du bist verrückt!«
    »Sapperment!«
    In dieser Weise setzten die beiden noch eine Zeitlang ihr
    Gespräch fort, dem Marcel Lornans im Grunde gar keine
    Bedeutung zumessen wollte, rauchten dabei ihre Zigarren
    und wanderten auf dem Deck hin und her.
    Als sie sich dabei einmal dem Bug näherten, erblickten
    sie den Diener Clovis Dardentors, der unbeweglich in sei-
    ner einwandfrei korrekten Reiselivree neben dem Überbau
    der Maschine stand.
    Was machte er da und worauf wartete er, ohne das ge-
    ringste Zeichen von Ungeduld? Er wartete auf das Erwa-
    chen seines Herrn. So war dieses Original im Dienst des
    Herrn Clovis Dardentor . . . ein Original, nicht weniger als
    dieser selbst. Doch welcher Unterschied des Temperaments
    und Charakters zwischen den beiden Persönlichkeiten.
    Patrice . . . so lautete sein Name, obwohl er nicht schot-
    tischer Herkunft war, und er verdiente diesen Namen, der
    von den Patriziern des alten Rom abgeleitet ist.
    Es war ein Mann von 40 Jahren und so comme il faut wie
    nur möglich. Seine vornehmen Manieren kontrastierten
    stark gegen das Sichgehenlassen des Perpignanesers, dem
    zu dienen er das Glück und das Unglück hatte. Die Züge
    seines glatten, stets frisch rasierten Gesichts, die etwas ab-

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    — 96 —
    fallende Stirn, sein Blick, worin sich ein gewisser Stolz aus-
    drückte, sein Mund mit halbgeschlossenen Lippen, die zwei
    Reihen schöner Zähne sehen ließen, sein blondes, sorgfäl-
    tig geordnetes Haar, seine gemessene Stimme und sein gan-
    zes vornehmes Äußere gestatteten, ihn dem Typus zuzuzäh-
    len, der nach den Physiologen die »länglich-runden Köpfe«
    umfaßt. Er glich fast einem Mitglied des englischen Ober-
    hauses. Jetzt seit 15 Jahren in seiner Stellung, hatte er diese
    schon viele Male aufgeben wollen. Umgekehrt hatte Clovis
    Dardentor nicht minder häufig Lust gehabt, ihm die Tür zu
    weisen. In Wahrheit konnten sie einander aber nicht ent-
    raten, obgleich man sich kaum zwei noch verschiedenere
    Naturen vorstellen kann. Was Patrice an das Haus in Perpig-
    nan fesselte, das war nicht sein übrigens recht hoher Lohn,
    sondern die Gewißheit, daß er sich des unbedingten und
    auch wohlverdienten Vertrauens seines Herrn erfreute. Wie
    schwer fühlte sich Patrice aber in seiner Eigenliebe verletzt,
    wenn er die Vertraulichkeit, die Redseligkeit, die südländi-
    sche Überschwenglichkeit seines Herrn mit ansehen mußte!
    In seinen Augen fehlte es Herrn Dardentor an Anstand. Er
    verleugnete die Würde, deren Bewahrung seine soziale Stel-
    lung ihm auferlegte. In seiner Art des Grüßens, des sich
    Vorstellens und des Ausdrucks schlug ihn immer wieder
    der alte Tonnenbinder in den Nacken. Kurz, es fehlten ihm
    alle guten Manieren, die er sich freilich beim Zusammen-
    zimmern und Bereifen Tausender von Fässern nicht hatte
    aneignen können. Patrice nahm sich auch gar kein Blatt vor
    den Mund, das

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