Clovis Dardentor
fort, »noch nicht alles gesagt zu haben,
was mir auf dem Herzen liegt, und zwar in erster Linie, daß
der Herr gestern bei Tafel mehr auf sich hätte achten sollen
. . .«»Auf mich achten ... bezüglich des Essens?«
»Und bezüglich des Pokulierens, das etwas übers Maß
hinausging . . . Nach dem, was mir der Oberkellner, ein
Mann comme il faut, erzählt hat . . .«
»Was hat Ihnen denn dieser Mann comme il faut hin-
terbracht?« fragte Clovis Dardentor, der Patrice nicht mehr
duzte, wenn es ihm bald zum Überkochen kam.
»Daß der Herr Sachen . . . Sachen gesprochen hat, über
die man meiner Meinung nach besser schweigt, wenn ei-
nem die Personen, mit denen man spricht, unbekannt sind.
Das ist nicht nur eine Regel der Klugheit, sondern auch des
Selbstgefühls . . .«
»Herr Patrice?«
»Was wünscht der Herr?«
»Sind Sie dahin gegangen, wohin ich Sie schickte, als Sie
heute früh so voreilig tölpelhaft an meine Tür donnerten?«
»Ich erinnere mich dessen nicht . . .«
»So will ich Ihr Gedächtnis auffrischen! . . . Zum Teufel
. . . zum Teufel habe ich Sie, mit aller Rücksicht, die Ihnen
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zukam, gehen heißen. Ich erlaube mir auch, Sie noch ein-
mal dahin zu schicken, und da bleiben Sie gefälligst, bis ich
nach Ihnen klingele!«
Patrice kniff halb die Augen zu und spitzte den Mund;
dann machte er auf der Stelle kehrt und begab sich nach
dem Vorderdeck, als Herr Désirandelle gerade auf dem
Oberdeck erschien.
»Ah, mein vortrefflicher Freund!« rief Clovis Dardentor,
als er diesen bemerkte.
Herr Désirandelle hatte sich hier hinaufgewagt, um et-
was sauerstoffreichere Luft als die der Kabinen zu atmen.
»Nun, mein lieber Désirandelle«, ergriff der Perpignane-
ser das Wort, »wie ist’s Ihnen denn seit gestern gegangen?«
»Eigentlich gar nicht.«
»Nur Mut, alter Freund, nur Mut! Sie sehen zwar noch
sehr bleich aus, wie ein frisch gewaschenes Oberhemd, das
Auge ist gläsern, die Lippen sind bläulich . . . doch das macht
nichts . . . die Überfahrt wird schon . . .«
»Schlecht ablaufen, Dardentor!«
»Sie sind ein Schwarzseher erster Sorte! . . . Den Kopf
hoch! Sursum corda, wie man an den hohen katholischen
Festtagen singt!«
Wahrlich, ein glückliches Zitat angesichts eines Mannes,
dem sich, wie man sagt, das Herz im Leib umdreht!
»Binnen wenigen Stunden«, fuhr Clovis Dardentor fort,
»können Sie den Fuß übrigens auf festes Land setzen, denn
die ›Argèlès‹ wird in Palma für längere Zeit anlegen . . .«
»Und doch nur einen halben Tag liegenbleiben«, seufzte
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Herr Désirandelle. »Wenn dann der Abend kommt, muß
man sich immer wieder auf diese abscheuliche Schaukel
setzen! . . . Ach, wenn sich’s nicht um Agathokles’ Zukunft
handelte!«
»Gewiß, Désirandelle, das verdiente schon diese kleine
Unbequemlichkeit. Oh, mein alter Freund, mir ist’s, als seh’
ich da unten schon das reizende Kind, am algerischen Ufer
mit der Lampe in der Hand wie Hero auf Leander, ich wollte
sagen, auf Agathokles wartend. Doch nein, das Gleichnis
hinkt, da der unglückliche Leander der Sage nach unter-
wegs ertrank. Werden Sie denn heute mit uns frühstücken?
»Ach, Dardentor, bei meinem traurigen Zustand . . .«
»Bedauerlich . . . höchst bedauerlich! Das gestrige Din-
ner verlief so heiter und das Essen war so vorzüglich! . . . Die
Speisen zeigten sich der Tischgäste würdig! Doktor Bruno!
. . . Dem braven Mann hab’ ich auf echt provenzalische Art
zugesetzt! . . . Und die beiden jungen Leute! . . . Welch lie-
benswürdige Reisegesellschaft! . . . Und wie rühmenswert
hat sich Ihr Agathokles verhalten! . . . Wenn er den Mund
auch zum Sprechen nicht auftat, so desto fleißiger zum Es-
sen! . . . Er hat sich bis zur Zungenwurzel vollgestopft!«
»Und daran sehr recht getan.«
»Gewiß! . . . Ah, da denk’ ich an Frau Désirandelle. Wer-
den wir sie denn heute morgen zu sehen bekommen?«
»Ich glaube kaum; weder heute morgen, noch später
. . .«»Was, nicht einmal in Palma?«
»Sie ist nicht imstande aufzustehen.«
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»Die arme Frau! . . . Wie ich sie bedaure und doch be-
wundre! All diese Not und Plage für ihren Agathokles! Sie
ist eine Mutter nach Vorschrift und mit einem Herzen! . . .
Doch sprechen wir nicht vom Herzen. Kommen Sie mit
nach dem Oberdeck?«
»Nein, Herr Dardentor, das könnt’ ich nicht; ich bleibe
lieber im Salon. Das ist sicherer. Ach, wann wird man ein-
mal
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