Clovis Dardentor
Désirandelle runzel-
ten die Stirn. Ihr Freund war in der Tat nicht glücklich in
der Wahl seiner Ausdrücke, und seine letzten Worte, die ge-
wiß auch Patrices Beifall gefunden hätten, begegneten hier
geteilter Aufnahme.
An Agathokles freilich konnte man sich mit nichts »ver-
mählen«, weder mit Talent noch mit Geist oder seiner Per-
sönlichkeit, »an ihm«, dachte Jean Taconnat, »war nicht
einmal genug für eine Konvenienzheirat.«
Das Gespräch kam dann gelegentlich auch auf den Spa-
ziergang, den Herr Dardentor und die beiden Pariser durch
die Stadt gemacht hatten. Die recht gut unterrichtete Louise
Elissane beantwortete ohne Ziererei einige Fragen, die ihr
gestellt wurden, und gab Aufschluß über die Festsetzung
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der Araber hier seit 3 Jahrhunderten, über die Einnahme
Orans durch die Franzosen vor einigen 60 Jahren, und über
den Handel von Oran, der diesem die erste Rangstellung
unter den algerischen Städten sicherte.
»Unsere Stadt«, fügte das junge Mädchen hinzu, »ist
aber nicht immer vom Glück begünstigt gewesen und ihre
Geschichte ist reich an trüben Erinnerungen. Den Angrif-
fen der Muselmanen folgten schwere Naturereignisse. So
war sie durch das Erdbeben von 1790 fast gänzlich zerstört
worden . . .«
Jean Taconnat spitzte das Ohr.
»Und«, fuhr das junge Mädchen fort, »nach den Brän-
den, die dieses unglückselige Ereignis im Gefolge hatte,
kamen die Türken und Araber und setzten sich in Besitz
der Stadt. Ruhe hat sie eigentlich erst seit der französischen
Herrschaft.«
Jean Taconnat aber dachte dabei:
»Erdbeben . . . Feuersbrünste . . . feindliche Angriffe! O
weh, ich komme 100 Jahre zu spät!« – »Werden Erdstöße
auch jetzt noch dann und wann beobachtet, mein Fräu-
lein?« fragte er.
»Nein, das nicht, Herr Taconnat«, antwortete gleich Frau
Elissane.
»Das ist schade!«
»Was? . . . Schade?« rief Herr Désirandelle. »Sie brau-
chen wohl Erdbeben und derartige schreckliche Ereignisse
sehr nötig, junger Herr?«
»Schweigen wir davon«, fiel Frau Désirandelle ein, »ich
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könnte sonst wieder seekrank werden. Wir sind auf festem
Land, und es reicht, wenn Schiffe schwanken, Städte müs-
sen das nicht nachmachen!«
Marcel Lornans konnte sich nicht enthalten, über diese
Bemerkung der guten Frau zu lächeln.
»Ich bedaure es, derartige Erinnerungen wachgerufen zu
haben«, mischte sich Louise Elissane ein, »da Frau Désiran-
delle gar so empfindlich ist . . .«
»Oh, liebes Kind«, antwortete Herr Désirandelle, »ma-
chen Sie sich deshalb keine Vorwürfe!«
»Wenn es wirklich zu einem Erdbeben käme«, erklärte
Herr Dardentor, »würde ich schon mit ihm fertig zu werden
wissen! Den einen Fuß hier- und den anderen dorthin, wie
der selige Koloß von Rhodos, da sollte sich wohl noch etwas
rühren können!«
Mit gespreizten Beinen hintretend, machte der Perpig-
naneser den Fußboden unter seinen Stiefeln krachen, be-
reit, gegen jede Erschütterung des afrikanischen Bodens an-
zukämpfen. Und aus seinem weit offenen Mund tönte ein so
lautes Lachen, daß er mit seiner Heiterkeit auch die anderen
ansteckte.
Als die Stunde des Abschieds gekommen war, ging die
Gesellschaft auseinander, nachdem mit den beiden Fami-
lien ein Zusammentreffen zum Besuch der Kasbah verab-
redet worden war.
In Gedanken versunken, sagte sich Marcel Lornans aber
auf dem Rückweg zum Hotel, daß der Dienst bei den 7. Jä-
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gern denn doch nicht als das Ideal des irdischen Glücks zu
betrachten sei.
Am nächsten Vormittag durchstreiften die Familien
Elissane und Désirandelle, Herr Dardentor und die beiden
Pariser die winkligen Gänge der alten oranischen Kasbah,
jetzt einer gewöhnlichen Kaserne, die mit zwei Toren der
Stadt in Verbindung steht. Dann wurde der Spaziergang
bis zum Negerdorf der Djalis ausgedehnt, das mit Recht als
eine der Merkwürdigkeiten Orans gilt. Bei diesem Ausflug
wollte es der Zufall – oh, nur der Zufall –, daß sich Louise
Elissane zum großen Mißvergnügen von Frau Désirandelle
sehr lebhaft mit Marcel Lornans unterhielt.
Am Abend war »die ganze Gesellschaft« von Clovis Dar-
dentor zum Essen eingeladen. Da gab es eine vorzügliche
Mahlzeit, deren Zurichtung der in solchen Dingen erfah-
rene Patrice ganz besonders überwacht hatte. Frau Elissane
gefiel dem Gentleman in Livree am meisten, da er in ihr
eine Dame von vornehmem Auftreten
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