Clovis Dardentor
Elissane.
»Oh, hochverehrte Frau«, antwortete Herr Dardentor,
»das kann Ihr Wunsch gar nicht sein; wenn es aber doch
der Fall und ich schwach genug wäre, Ihnen nachzugeben,
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würden Sie mir mein Leben lang deswegen Vorwürfe ma-
chen . . .«
»Mutter«, sagte Louise lachend, »könntest du Herrn Dar-
dentor wirklich so endlosen Vorwürfen aussetzen wollen?«
»Und so gerechtfertigten?« fügte Marcel Lornans hinzu,
dessen Miteintreten Fräulein Elissane ganz angenehm zu
sein schien.
»Ja gewiß, gerechtfertigten Vorwürfen«, fuhr Herr Dar-
dentor fort, »denn Mascara ist eine der hübschesten Städte
Algeriens, und die ihm gewidmete Zeit wird keine verlo-
rene sein. Da soll mich doch der Wolf vom Nacken bis zum
Rückgrat fressen . . .«
»Hm!« ließ Patrice hören.
»Hast du etwa einen Schnupfen«? fragte sein Herr.
»Nein, ich wollte nur den Wolf rechtzeitig von dem
Herrn vertreiben . . .«
»Schafkopf !«
Die kleine Gesellschaft fügte sich also den Wünschen ih-
res Anführers, die schon mehr Befehlen gleichkamen.
Mascara ist eine befestigte Stadt. Am Südabhang der ers-
ten Kette des Atlas und am Fuß des Chareb-er-Rih gelegen,
beherrscht sie die weite Ebene von Eghris. Drei Wasser-
läufe, der Oued-Toudman, der Aïn-Beïda und der Ben-Ar-
rach vereinigen sich an dieser Stelle. Schon 1835 durch den
Herzog von Orleans und den Marschall Clausel eingenom-
men, doch bald darauf wieder verlassen, wurde die Stadt
erst 1841 durch die Generäle Bugeaud und Lamoricière zu-
rückerobert.
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Vor ihrem Mittagsmahl konnten sich die Ausflügler
schon überzeugen, daß Herr Dardentor nicht übertrieben
hatte. Mascara hat eine wunderschöne Lage auf zwei Hü-
geln, zwischen denen sich der Oued-Toudman hinschlän-
gelt. Die Gesellschaft durchwanderte seine fünf Viertel,
wovon vier von einem breiten, mit Bäumen besetzten Bou-
levard umschlossen sind, das ist der eigentlich befestigte
Teil mit 6 Toren, der von 10 Türmen und 8 Bastionen ver-
teidigt wird.
Schließlich rasteten die Spaziergänger ein wenig auf dem
Exerzierplatz.
»Welch ein Anblick!« rief Herr Dardentor, als er sich mit
gespreizten Beinen und gen Himmel gestreckten Armen
vor einem ungeheuren, wohl 2- bis 300jährigen Baum auf-
pflanzte.
»Ein Wald für sich allein!« meinte Marcel.
Es war ein Maulbeerbaum, der gewiß seine Geschichte
hatte und an dem mehrere Jahrhunderte vorübergegangen
waren, ohne ihn zu fällen.
Clovis Dardentor wollte ein Blatt davon abpflücken.
»Das erste Kleidungsstück der Elegants im irdischen Pa-
radiese«, bemerkte Jean Taconnat.
»Und obendrein ohne jede Naht!« fügte Herr Darden-
tor hinzu.
Ein vortreffliches und reiches Mittagsmahl flößte allen
neue Kräfte ein. Dem Wein von Mascara, der in den Kelle-
reien der Feinschmecker jenseits des Mittelmeers als hoch-
feine Marke gilt, wurde tüchtig zugesprochen. Dann zogen
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sich die Damen, wie am Abend vorher, zeitig zurück. Mit
dem Morgenrot brauchten sie auch noch nicht wieder auf
den Füßen zu sein. Die beiden Herren Désirandelle konn-
ten bis in den hellen Tag hinein schlafen. Zum Frühstück
stellten sie sich jedenfalls ein. Der Nachmittag sollte einem
gemeinschaftlichen Besuch der bedeutenderen Bauwerke
der Stadt gewidmet werden.
Infolgedessen sah man am nächsten Morgen um 8 Uhr
nur die drei Unzertrennlichen durch das Handelsviertel der
Stadt schlendern. Seine alten Neigungen als Gewerbetrei-
bender und Händler hatten den früheren Tonnenbinder
von Perpignan hierher gelockt. Der lose Schmeichler Jean
Taconnat hatte ihm noch zugeredet, zum großen Leidwe-
sen Marcel Lornans, den die Öl- oder Mahlmühlen, sowie
die Fabriken der Einheimischen blutwenig interessierten.
Ja, wenn auch Fräulein Elissane der väterlichen Fürsorge
des Herrn Dardentor anvertraut worden wäre! Sie war aber
nicht zur Stelle, und es mochte sehr fraglich sein, ob sie zu
dieser Stunde schon die feinen Augenlider geöffnet hatte.
Auf dem Weg durch die Straßen dieses Viertels machte
Herr Dardentor wieder einige Einkäufe, unter anderm ein
Paar jener schwarzen Burnusse, bekannt unter dem Namen
»Zerdanis«, die er gelegentlich, ganz wie die Araber im Nor-
den Afrikas, tragen wollte.
Gegen Mittag fand sich die ganze Gesellschaft wieder zu-
sammen und begab sich nach den drei Moscheen der Stadt,
deren erste die von Aïn-Beïda ist, die aus dem Jahr 1761
stammt und in der Abd el
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