Clovis Dardentor
Marcel!«
»Keineswegs, denn ich habe nie die Absicht gehabt, der
Adoptivsohn von Herrn Dardentor zu werden.«
»Sapperment . . . aus dem spricht der Verliebte.«
»Wie, der Verliebte?«
»Schalk du! . . . Es liegt doch klar am Tag, daß du Fräu-
lein Louise Elissane liebst!«
»Still . . . Jean! . . . Man könnte uns hören!«
»Und wenn das der Fall wäre, was erführe man da Neues?
. . . Ist es denn nicht sichtbar, wie der Mond auf 3 Schritt
Entfernung? . . . Braucht man das Fernrohr des Herrn Ori-
ental, um zu sehen, wohin es dich zieht? . . . Macht es Frau
Elissane nicht schon eine gewisse Unruhe, und glaubst du
nicht, daß dich die Désirandelles, Vater, Mutter und Sohn,
zu allen tausend Teufeln wünschen?«
»Du übertreibst, Jean!«
»Gewiß nicht . . . Nur Herr Dardentor scheint nichts da-
von zu merken, und vielleicht auch Fräulein Elissane nicht
. . .«»Sie? ... Du glaubst ...?« fragte Marcel Lornans lebhaf-
ter.»Gut, beruhige dich nur, Herr Todeskandidat von ges-
tern! Sollte ein junges Mädchen sich über so ein besonderes
heimliches Herzklopfen täuschen können?«
»Jean!«
»Was die Mißachtung betrifft, die sie gegen das Meis-
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terwerk der Désirandelles, das auf den Namen Agathokles
hört, empfindet . . .«
»Weißt du, Freund Jean, daß ich in Fräulein Louise ganz
vernarrt bin . . .«
»Vernarrt, das ist das richtige Wort, denn wohin soll es
dich führen? . . . Daß Fräulein Elissane reizend ist, das sieht
auch der Blinde, und ich würde sie ebenso angebetet ha-
ben wie du. Sie ist aber versprochen, und wenn sich’s auch
um keine Liebesheirat handelt, so stehen ihr doch ein di-
cker Geldsack und der beiderseitige Wunsch der Eltern zur
Seite. Es ist ein Gebäude, zu dem man schon in der Kindheit
der Beteiligten den Grundstein gelegt hat, und du bildest
dir ein, das einfach umblasen zu können?«
»Ich bilde mir gar nichts ein, sondern lasse den Dingen
ihren Lauf.«
»Auch damit begehst du noch ein Unrecht, Marcel.«
»Inwiefern denn?«
»Du wirst unseren ersten Plänen untreu.«
»Ich will lieber dir freie Hand lassen, Jean!«
»Aber überleg doch, Marcel! Wenn es dir gelänge, adop-
tiert zu werden . . .«
»Ich?«
»Ja, ja . . . du! . . . Wenn du dann Fräulein Elissane den
Hof machtest, und könntest mit der Hand in der Tasche
klimpern, statt jetzt nur den schmachtenden Seladon zu
spielen . . . Da könntest du Agathokles schon mit dem Porte-
monnaie allein ausbeißen, abgesehen davon, daß der neue
Vater deine Bewerbung mächtig unterstützen würde. Er zö-
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gerte gewiß auch keinen Augenblick, Louise selbst zu seiner
Adoptivtochter zu machen, wenn es ihr von der Vorsehung
beschieden wäre, ihn aus Wasser, Feuer oder Kampfesnot
zu retten.«
»Du faselst!«
»Ich fasele? . . . Ja, doch mit allem Ernst überlegenen Ver-
stands, und ich erteile dir nur einen guten Rat.«
»Du wirst wohl zugeben, Jean, daß ich von Anfang her
Pech gehabt habe. Da bricht nun im Zug das Feuer aus, und
nicht nur bleibt es mir versagt, Herrn Dardentor zu retten,
nein, er ist es sogar, der mich rettet.«
»Ja freilich, Marcel, das ist Pech, unser verteufeltes Pech!
Doch da fällt mir ein, jetzt wärst du in der gewünschten
Lage, den Perpignaneser zu adoptieren. Das liefe zuletzt auf
dasselbe hinaus! So adoptiere ihn also, und er dotiert dann
seinen Vater . . .«
»Unsinn!« erklärte Marcel Lornans lachend.
»Warum denn?«
»Weil es gesetzliche Vorschrift ist, daß der Adoptant äl-
ter als der Adoptierte sein muß, und wär’s nur um einige
Tage.«
»Ach, Marcel, es geht uns einmal alles gegen den Strich,
und wie verflixt schwierig ist es doch, sich durch juristische
Hilfsmittel einen Vater zu erobern!«
Da erscholl eine laute Stimme in dem Gang, an dem das
Zimmer lag.
»Das ist er!« sagte Jean Taconnat.
Clovis Dardentor erschien, aufgeräumt wie immer, in
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der Tür, und mit einem einzigen Satz sprang er von der
Schwelle bis an Marcel Lornans Lager.
»Wie«, rief er, »immer noch nicht aufgestanden? . . . Ist
er etwa krank? Fehlt es seiner Atmung an Tiefe und Regel-
mäßigkeit? . . . Soll ich ihm etwa Luft in die Lungen blasen?
. . . Kein Genieren! . . . Ich habe die Brust voll ganz beson-
ders wirksamen Sauerstoffs, zu dem ich allein das Rezept
besitze.«
»Herr Dardentor . . . mein Retter!« sagte Marcel Lornans,
sich aufrichtend.
»Ach nein . . . nein!«
»Doch . . . ja!«
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