Clovis Dardentor
er zur Not aus-
zukommen hoffte. Clovis Dardentor, ein vortrefflicher Rei-
ter, musterte die Pferde mit Kennerblicken, ließ aber über
seinen Entschluß noch nichts verlauten.
Die Leitung der Karawane lag natürlich in den Händen
eines Beamten der Bahngesellschaft. Dieser Beamte namens
Dérivas hatte noch einen Führer namens Moktani und
mehrere arabische Diener zu seiner Verfügung. Ein Last-
wagen sollte genügend Nahrungsmittel mitführen, die man
in Daya, in Sebdou und in Tlemcen nach Bedarf zu erneu-
ern gedachte. Von einem Lagern während der Nacht war
keine Rede. Um die vorgesehenen Rastplätze zu erreichen,
brauchte die Karawane nur etwa 10 Lieues täglich zurück-
— 246 —
zulegen und sollte dann in einem der Dörfer oder Weiler,
die an ihrem Weg lagen, haltmachen.
»Alles in bester Ordnung«, erklärte Herr Dardentor,
»die ganze Organisation macht dem Direktor der algeri-
schen Eisenbahnen alle Ehre. Wir können ihn wegen sei-
ner Maßnahmen nur beglückwünschen. Morgen um 9 Uhr
also, Versammlung auf dem Bahnhof, und da wir jetzt noch
einen Tag vor uns haben, liebe Freunde, wollen wir aufbre-
chen, um das schöne Saïda zu besichtigen.«
Als sie eben weitergehen wollten, bemerkten Herr Dar-
dentor und seine Begleiter in 100 Schritt Entfernung einen
ihrer Bekannten.
Herr Eustache Oriental wanderte nach dem Bahnhof aus
demselben Grund, der sie hergeführt hatte.
»Da kommt er . . . da kommt er in höchsteigener Person!«
deklamierte der Perpignaneser, daß man es weithin hörte.
Wiederum wurde ein Gruß mit dem Vorsitzenden der
Astronomischen Gesellschaft von Montélimar ausgetauscht,
doch kein Wort dabei gewechselt. Herr Eustache Oriental
schien sich auch weiterhin so abseits halten zu wollen wie
früher an Bord der ›Argèlès‹.
»Er wird also mit im Zug sein?« bemerkte Marcel
Lornans.
»Ja, er wird sich wie wir mit fortschleppen lassen«, ant-
wortete Herr Dardentor.
»Ich hoffe«, meinte Jean Taconnat, »die Bahngesellschaft
wird für genügend Nahrungsmittel gesorgt haben . . .«
»Spotten Sie immer über seinen guten Appetit«, Herr
— 247 —
Taconnat, »erwiderte Clovis Dardentor, »doch wer weiß, ob
uns das Männchen unterwegs nicht von Nutzen sein kann.
Nehmen wir nur einmal an, die Karawane verirrte sich;
würde er sie nicht allein durch Konsultation der Gestirne
wieder auf den richtigen Weg zurückführen können?«
Jedenfalls dachte man sich die Anwesenheit des Gelehrte
zunutze zu machen, wenn die Umstände das erforderten.
Nach Herrn Dardentors Vorschlag wurden nun der Vor-
und der Nachmittag mit Spaziergängen innerhalb und au-
ßerhalb der Stadt zugebracht.
Saïda zählt etwa 3000 Einwohner – eine sehr gemischte
Bevölkerung, die zu einem Sechstel aus Franzosen, zu ei-
nem Zwölftel aus Juden und im übrigen aus Eingeborenen
besteht.
Das aus der Militär-Unterabteilung von Mascara hervor-
gegangene Gemeinwesen wurde 1854 gegründet. 10 Jahre
später bestand es aber eigentlich nur aus den Ruinen der
alten, von den Franzosen eingenommenen und zerstörten
Stadt, deren von Mauern umschlossenes Viereck zu den fes-
ten Plätzen Abd el Kaders gehörte. Nachher wurde die neue
Stadt 2 Kilometer südöstlich zwischen dem Tell und den
Hochebenen in der Höhe von 900 Metern erbaut.
Saïda »die Schöne«, wie die Stadt genannt wird, bildet
mit ihrer halbmodernen und den Landessitten angepaßten
Organisation nur einen Abklatsch von Saint-Denis du Sig
oder Mascara. Auch hier gab es den unvermeidlichen Frie-
densrichter, den Personal-, Grundsteuer- und Acciseein-
nehmer, den Forstaufseher und das hergebrachte arabische
— 248 —
Büro. Von Bau- oder Kunstdenkmälern, gar von einer Lo-
kalfärbung war nichts zu entdecken, was bei einer verhält-
nismäßig neuen Stadt auch nicht wundernehmen kann.
Herrn Dardentor fiel es deshalb aber gar nicht ein, sich
zu beklagen. Seine Neugier fand Befriedigung, oder seine
industriellen Instinkte wurden vielmehr neu aufgefrischt,
wenn das Rickeracke der Mahlmühlen oder das Kreischen
der Sägen aus den Schneidemühlen an sein Ohr schlug.
Höchstens bedauerte er, nicht an einem Mittwoch, dem Tag
des großen arabischen Wollmarkts, nach Saïda gekommen
zu sein. Seine Anlage zum tot admirari sollte indes wäh-
rend des ganzen Ausflugs nicht unerprobt bleiben, und so
wie man ihn am Anfang der Fahrt sah, erwies er sich gewiß
auch noch am Ende.
Zum Glück bietet die Umgebung
Weitere Kostenlose Bücher