Club der gebrochenen Herzen
er sie. »Du hast damals bei Miss Marple mit uns gearbeitet, hast praktisch noch in den Windeln gesteckt. Großer, feister, bärtiger Typ. Er hat einen Master of Hounds gespielt. Nur eine kleine Rolle. Er hat sie natürlich einen Gastauftritt genannt.«
Amy dachte einen Augenblick nach. »Ah ja, und es stellte sich heraus, dass er nicht reiten konnte.«
Eldon schmunzelte. »Das hat er nicht rausgelassen, der alte Gauner.«
»Ich erinnere mich«, sagte sie. »Sie mussten für die Actionszenen ein Double anheuern, der Produzent war so was von stinksauer.«
»Jedenfalls bin ich ihm letzte Woche zufällig begegnet. Stellt sich heraus, dass er im tiefsten Wales eine Frühstückspension führt. Also, um das zu sehen, würde ich was springen lassen. Der Kerl kann keine Büchse öffnen.« Er machte eine Pause. »Hat die Schauspielerei aufgegeben, oder besser gesagt, die Schauspielerei ihn. Er hatte den Cabernet Sauvignon ein bisschen zu gern.« Er beugte sich vor und inspizierte sein Gesicht. »Ruhig bleiben, ein Esel schimpft den anderen Langohr. Ich hab verdammtes Glück, dass ich diesen Auftritt habe, wir werden alle nicht jünger. Um ehrlich zu sein, ich vermisse den alten Wichser.«
Amy hörte nur noch halb zu. Sie dachte über Neville nach. Nein, eigentlich nicht. Sie dachte über einen der Komparsen nach.
Sie filmten in Stamford, einer Stadt irgendwo bei Peterborough. Amy verließ die Unit Base und kam am Set an. Die Hauptstraße war verwandelt, der Asphalt mit Erde und Pferdeäpfeln bestreut, die Geschäfte als Kurzwarenhandlung und ähnliches ausstaffiert. Gefilmt wurde eine große, komplexe Szene, und der Schauplatz zeigte die übliche Mischung aus Ordnung und Chaos, Schweine einer seltenen Rasse liefen herum, Megafone dröhnten. Amy entdeckte den Komparsen sofort. Er sah fantastisch aus in Kniehose – groß, mager, braun gelocktes Haar. Sicherlich spielte er deswegen einen feinen Pinkel, der an den Assembly Rooms vorbeischlenderte.
Möchtest du, dass man dich heiratet? Ist es das? So einen Satz würde man bei Jane Austen nie finden, dachte sie. Kein Wunder, dass die Leute in die Jane-Austen-Filme strömten. In diesen waren es Burschen wie der da, die auf die Knie fielen. Würden Sie mir die Ehre erweisen, meine Frau zu werden?
Sie erinnerte sich an die Nacht im Badezimmer, als sie in Tränen ausgebrochen war. Wollte sie wirklich kinderlos und einsam sterben? Wäre Neville der Richtige?
»Kommst du heute Abend in die Bar, oder geht's nach Hause?«, fragte einer der Kameramänner. Der nächste Tag war ja frei, und Amy hatte vor, nach London zurückzufahren.
In diesem Augenblick erregte der Bursche in Kniehose Amys Aufmerksamkeit. An die Wand gelehnt, lächelte er sie an.
Amy sagte: »Ich bleibe hier.«
ZNAS . Zählt nicht am Set.
Der Komparse hieß Keith. Er hatte einen Plattenladen in der Hauptstraße. Dessen Vorderfront war zur Fleischerei umgemodelt, und im Schaufenster waren Kaninchen aufgehängt. Als Amy am Abend hineinhuschte, bemerkte sie, dass der Innenraum hinter den Kaninchen an Metzgerhaken unverändert geblieben war. Keith trug nun Röhrenjeans. Er sah um einiges jünger aus und hatte Pickel auf dem Kinn.
»Hier wird ständig gedreht«, sagte er. »Beim letzten Mal war ich ein Bauerntrampel mit Kuh. Kapiere nicht, wie man so blöde herumhängen kann, ich würde glatt durchknallen. Hinterher habe ich mit dem Kameraassistenten noch einen getrunken.«
Sie durchschaute seine Kleinstadt-Großtuerei, da sie selbst in Leamington Spa aufgewachsen war. Sie erwärmte sich für ihn, einfach, weil er nicht Neville war und ihr nicht schwerums Herz wurde, als er durch die Tür kam. Wie schnell sich alles auflöste!
Zuerst ging das Lachen verloren; das war schon lange verschwunden. Sie erinnerte sich an die Anfangszeit, als sie einmal an einem Ehrenmal mit der Inschrift Polish War Memorial vorbeifuhren. »Hätte mein Poliertuch mitnehmen sollen«, bemerkte Neville. Sie hatte »Autsch!« gesagt und gelacht. Im letzten Monat war sie wieder daran vorbeigekommen, und Tränen waren ihr in die Augen geschossen; nie mehr würde er jetzt so scherzen. Heutzutage saß er angespannt und geistesabwesend im Auto, brach das Schweigen nur, um aufzustöhnen, wenn im Radio ein Tory-Minister seine Ansichten zum Besten gab.
Amy fragte sich, warum er Radio 4 hörte, wenn er sich ohnehin nur dabei ärgerte? Warum nicht bei den Liedern in Radio 1 mitgrölen wie sie, wenn sie alleine war? Warum nicht Spaß haben?
Keith
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