Club Kalaschnikow
Siesehnte sich danach, allein zu sein, nicht in die Wohnung, zu den lauten Gesprächen und den vielen Menschen zurückkehren zu müssen.
»Gehen Sie schon hinein, Ella Anatoljewna, ich komme sofort nach«, sagte sie und hielt der erregten Frau die Tür auf. Sie selber stieg einen Treppenabsatz höher und trat ans Fenster.
Natürlich, vieles paßte nicht zusammen. Wozu hatte Olga versucht, Geld von ihr zu erpressen? Wer hatte noch nach Glebs Tod den BH in die Bademanteltasche gesteckt? Warum hatte Margarita nicht gesagt, daß sie Sweta Petrowa kannte?
Die Fragen purzelten wie von selbst durch Katjas Kopf, fast gegen ihren Willen. War es wirklich ihre Sache, die Antworten zu finden? Es gab so viele andere Dinge, Probleme, Gespräche, die ihr jetzt bevorstanden. Das Theater, die Ballettruppe, die Aufteilung des Erbes … Aber sie mußte zurück zu ihren Gästen. Schließlich war sie die Gastgeberin, es war unhöflich, im Treppenhaus zu stehen, wenn das Haus voller Leute war.
In der Diele half Konstantin Iwanowitsch gerade seiner ersten Frau in den Mantel. Nadeshda Petrowna, bleich, matt, mit geschwollenen roten Augen, bemühte sich, so etwas wie ein Lächeln zustande zu bringen.
»Ich fahre, mein Kind. Ich bin müde.«
»Ich bringe sie nach Hause und komme dann wieder«, erklärte Konstantin Iwanowitsch.
Katja verabschiedete sich herzlich und ging ins Wohnzimmer. An dem riesigen Tisch saßen schon nicht mehr so viele Leute. Trinksprüche wurden keine mehr ausgebracht, man führte leise Gespräche. Unter den Gästen waren manche, die sich viele Jahre lang nicht gesehen hatten, für sie war es jetzt interessant, sich miteinander zu unterhalten, von den Kindern, die schon groß, und den Eltern, die alt geworden waren, zu erzählen.
Ella Anatoljewna schluchzte, kippte ein Glas nach dem anderen hinunter und erzählte lautstark, wie sie dem fünfjährigen Gleb das schöne Blondhaar geschnitten habe, was für ein kluges, bildhübsches Kind er gewesen sei, ein wahrer Engel. Niemand hörte der betrunkenen Frau zu, aber das schien sie nicht zu stören. Es war schon einige Jahre her, daß sie angefangen hatte zu trinken und der Kontakt zu ihren alten Bekannten abgerissen war. Nun war irgendeine Galja auf die Idee gekommen, sie über den Tod von Gleb Kalaschnikow zu informieren und ihr die Adresse zu geben. Ein Begräbnis ist ein besonderer Anlaß, zu dem man auch ohne Einladung kommen kann.
Katja räumte die schmutzigen Teller ab. Es war Zeit, den Nachtisch, Kaffee und Tee zu servieren. Shannotschka, die Arme, war schon ganz abgehetzt.
Ella Anatoljewna schrie immer lauter, sprang auf, wollte Katja helfen, warf eine Sauciere um, geriet mit dem Ärmel in die Salatreste, entschuldigte sich wortreich, schluchzte und schniefte.
»Lassen Sie nur, das macht nichts«, sagte Katja leise.
Aber sie war gar nicht besonders verlegen. Sie schnappte sich eine Flasche Kognak und ein Glas und folgte Katja in die Küche. Dabei setzte sie ihren lauten Monolog fort.
»Ich sage ihr: Wieso machst du das? Misch dich nicht in fremde Angelegenheiten, sonst brauchst du dich hinterher nicht zu wundern. Und sie verstellt noch extra ihre Stimme, brummt im tiefsten Baß in den Hörer: Er liebt dich nicht, du hast selbst an allem schuld, du Dörr-Giselle …«
Katja fuhr so heftig zusammen, daß sie fast den Stapel schmutziger Teller hätte fallen lassen.
***
Jeder Mensch, und sei er auch noch so heruntergekommen, muß wenigstens einmal im Leben richtig Glück haben. Er darf natürlich den Moment nicht verschlafen, in dem ihmSeine Hoheit, sein persönliches Glück, zulächelt und ihm einladend zublinzelt: Rasch, Freundchen, pack mich, bevor es zu spät ist!
Mülleimer-Boris, mit bürgerlichem Namen Boris Pawlowitsch Woskoboinikow, zweimal wegen Diebstahls vorbestraft, seit vielen Jahren arbeitslos und ohne Aufenthaltserlaubnis, ein Quartalssäufer, der auch den billigsten Fusel nicht verschmähte, hatte auf diesen seligen Moment schon sein ganzes Leben lang gewartet und glaubte, nun sei er gekommen. Er log seiner Lebensgefährtin Siwka vor, er wolle aufs Land fahren, um sich als Packer ein bißchen Geld zu verdienen. Dann zog er sich unauffällige, verhältnismäßig saubere Klamotten an, veränderte seine grelle, auffällige Erscheinung, so gut er konnte, und begann seine gefährliche, aber interessante Tätigkeit als Spion.
Niemand bemerkte Boris, nicht einmal die widerlichen Fernsehfritzen, die ebenfalls auf diesem gottverdammten Hof
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