Club Kalaschnikow
schleicht sich heimlich und unbemerkt an. Jeden Tag ein paar Haare weniger, ein paar Fältchen mehr, und es wird immer schwieriger, den Bauch einzuziehen und sich geradezuhalten.
Mit seinen dreiundfünfzig Jahren war Jegor Barinow ein noch junger Politiker und ein vitaler, geistig reger und attraktiver Mann. Aber sich selbst kam er schon uralt vor. Alle Illusionen waren verflogen, seine Wünsche waren grob und primitiv – Geld, Macht, Frauen. Er fühlte sich wie ein altes Raubtier, dessen Krallen stumpf und dessen Zähne wacklig geworden waren. Erfahrung, Instinkt, Appetit, alles war da. Aber die Kräfte gingen zur Neige.
Manchmal wachte er mitten in der Nacht schweißgebadet auf, wälzte sich in trüber Panik von einer Seite auf die andere. Sein Leben rollte vor ihm ab wie die Landschaft hinter einem Zugfenster. Die flüchtigen, leichten, bunten Augenblicke suchte er mit aller Macht festzuhalten. Jetzt, wo er über fünfzig war, fühlte er mit der scharfen Trauer eines Wolfes, wie wenige solcher Augenblicke ihm noch geblieben waren. Und die Zukunft hielt nichts mehr bereit, nur den Tod.
Schlaflos wälzte er sich hin und her, quälte sich schwitzend in grundloser Panik durch den größten Teil der Nacht, schlummerte erst gegen Morgen ein und wurde von dem durchdringenden Klingeln des Telefons geweckt.
»Schläfst du?« fragte ihn eine vertraute spöttische Stimme. »Wir müssen uns treffen. Ich erwarte dich in einer Stunde im Büro.«
Jegor Barinow schaute auf die Uhr. Gerade erst sieben, mußte das denn sein!
»Aber … ich habe Termine. Geht es nicht abends?«
»Deine Termine können warten. Es ist eilig.«
Im Hörer ertönte das Freizeichen. Barinow schmerzte vor Anspannung der Nacken. Es war Sonntagvormittag, er hatte gar keine Termine. Er hatte das nur gesagt, um zu testen, wie wichtig und gefährlich das bevorstehende Gespräch war. Die Antwort ließ keinen Zweifel – es war etwas passiert. Einfach so, ohne Anlaß, würde Valera Lunjok nicht in aller Herrgottsfrühe anrufen und in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zuließ, mit ihm reden. Auch wenn Lunjok ein »Dieb im Gesetz« war, so war er doch kein unhöflicher Rüpel.
Der coffeinfreie Kaffee schmeckte nach gar nichts. Zwei Aspirintabletten befreiten ihn von den Nackenschmerzen, aber die Zerschlagenheit blieb, wanderte gewissermaßen vom Kopf in die Seele. Er setzte sich ans Steuer seines eleganten Mercedes und versuchte sich zu beruhigen und zu entspannen.
Was Lunjok als »Büro« bezeichnet hatte, war eine zweistöckige Villa, die er sich in der Nähe des Sokolniki-Parks im pseudorussischen Stil hatte bauen lassen. Von der Straße, einer ruhigen, etwas schmuddeligen kleinen Gasse, war die Villa durch eine dicke Betonmauer abgeschirmt. Kein Namensschild, dafür zwei Videokameras und ein Wachhäuschen.
Lunjok begrüßte Barinow mit einem lässigen Kopfnicken.
»Schlecht siehst du aus, Jegor Nikolajewitsch. Kommst du nicht zum Schlafen?« stichelte er. »Hast du immer noch Spaß am jungen Fleisch?«
Lunjok selber sah hervorragend aus. Schlank, frisch undglattrasiert saß er in einem tiefen Ledersessel und schlürfte mit einem Strohhalm Orangensaft direkt aus der Packung.
»Wovon redest du, Valera, was für junges Fleisch? Aus dem Alter bin ich heraus, die Mädchen wollen schon lange nichts mehr von mir wissen.« Barinow versuchte gleich von Anfang an dem Gespräch einen spielerisch-freundschaftlichen Ton zu geben, doch sein Lächeln wirkte aufgesetzt, seine Stimme klang heiser und dumpf.
»Nur keine falsche Bescheidenheit«, sagte Lunjok und fixierte Barinow mit seinen kalten graugelben Augen. »Wie alt du bist, weiß ich, und über die Mädchen weiß ich auch Bescheid.«
»Hast du mich etwa um diese Zeit aus dem Bett geholt, um über Mädchen zu reden?« fragte Barinow augenzwinkernd, bemüht, möglichst locker zu wirken. Aber sein Herz klopfte unangenehm.
»Darauf kommen wir auch noch zu sprechen«, sagte Lunjok. »Übrigens, ich hab da eine komische Sache gehört. Wie es aussieht, hattest du mal eine Affäre mit der Frau von Gleb Kalaschnikow? Du bist wirklich ein Hansdampf in allen Betten.«
Was für ein Unfug, dachte Barinow verärgert, er hat mich doch wohl nicht so früh aus dem Schlaf gerissen, um mit mir über längst verflossene Liebschaften zu reden? Blödsinn! Worauf will er dann hinaus?
»Lieber Himmel, Valera, du wirst noch ausgraben, mit wem ich’s im ersten Semester an der Uni getrieben habe.«
»Wenn nötig,
Weitere Kostenlose Bücher