Club Kalaschnikow
die Ermittler bestimmt sind.« Die Oma schnaufte vielsagend und funkelte mit den Augen. »Natürlich weiß ich, wie spät es ist. Ich werde bis zum Morgen warten. Ich bin nicht verrückt. Aber Olga hat es nicht getan. Sie ist die Tochter eines Offiziers. Zweier Offiziere. Ihre Mutter war Militärärztin, eine Kollegin von Ihnen. Sie als Medizinerin müssen mich doch verstehen.«
»Ich verstehe dich ja«, versicherte die Schwester, »ich verstehe dich nur zu gut. Mein Ältester war auch eine Zeitlang in Afghanistan. Nur ganz kurz, bevor der Krieg zu Ende war. Gott sei Dank ist er gesund und munter. Er ist allerdings nicht bei der Armee, er arbeitet als Kameramann beim Fernsehen. Ja, ja, so ist das, Oma. Aber jetzt ist es Zeit zu schlafen. Der Morgen ist klüger als der Abend. Komm, meine Liebe, ich bringe dich ins Bett.«
»Ich verlange eine Unterredung mit dem Untersuchungsführer!« wandte sich die Patientin Guskowa an den Stationsarzt, als er zur morgendlichen Visite den Krankensaal betrat.
»Gewiß doch«, pflichtete ihr der junge Arzt bei. »Wie fühlen Sie sich?«
»Gut. Mir ist eine wichtige Sache eingefallen. Meine Enkelin ist unschuldig, sie muß freigelassen werden. Ich bin Veteranin der Arbeit, war mein ganzes Leben in der Volksbildung tätig. Meine Tochter und mein Schwiegersohn haben in der Armee gedient, als Offiziere, sie sind in Afghanistan gefallen. Meine Tochter war Militärärztin, eine Kollegin von Ihnen, Doktor. Sie sind verpflichtet, meiner Bitte Gehör zu schenken. Ich bin nicht verrückt. Es soll schnellstens jemand von der Miliz herkommen, ich kann wichtige Angaben zum Fall machen. Meine Enkelin muß freigelassen werden. Sie soll kommen und mich hier rausholen. Es ist sehr eilig, Doktor.«
»Natürlich, natürlich, regen Sie sich nur nicht auf …«
Der Arbeitstag des Stationsarztes Michail Gontschar war bis zum Rand mit hektischer Betriebsamkeit gefüllt. Er fand keine Zeit, in Ruhe zu essen, nicht einmal eine Zigarettenpause konnte er einschieben. Seine Patienten waren schwierig, jede Oma hatte ganz dringende Bitten; es gab zu wenig Personal, das Gehalt kam nicht pünktlich, es mangelte an Spritzen, an Medikamenten, sogar an Watte. Mitallen Problemen wandte man sich an ihn. Ihm schwirrte der Kopf. Schon seit zwei Jahren kam er mit seiner Dissertation nicht voran, seine Frau war schwanger, das Geld reichte hinten und vorn nicht, er wußte nicht, wie es weitergehen sollte. Die übergeschnappten Omas mit ihren Forderungen und hysterischen Anfällen konnten einen unmerklich um den Verstand bringen.
Am Ende seines Arbeitstages schloß sich Michail Gontschar völlig müde und erschöpft in seinem Büro ein, ließ sich in seinen Sessel fallen und steckte sich eine Zigarette an. Ausgerechnet in diesem Moment schrillte das Telefon.
»Guten Tag, entschuldigen Sie die Störung, hier ist Tschernow, Untersuchungsführer der Städtischen Staatsanwaltschaft. In Ihre Abteilung hat man eine Patientin namens Iwetta Tichonowna Guskowa eingeliefert.«
»Ja, die gibt es«, erwiderte Gontschar mechanisch.
»Sagen Sie doch bitte, wie geht es ihr?«
»Ist das eine dienstliche Anfrage? Oder sind Sie ein Verwandter?«
»Dienstlich kann man nicht direkt sagen. Ich rufe auf die Bitte ihrer Enkelin hin an.«
»Richten Sie der Enkelin aus, daß es ihr gut geht«, sagte Gontschar immer noch mechanisch.
Er war derart kaputt, daß er nur noch einen Wunsch hatte – wenigstens ein paar Minuten still zu sitzen, sich zu entspannen und an nichts zu denken.
»Danke«, kam aus dem Hörer die Antwort.
Guskowa – das ist die, die am Montag eingeliefert wurde. Ja, richtig, ihre Enkelin ist ja unter Mordverdacht verhaftet worden, erinnerte sich Gontschar, nachdem er aufgelegt hatte. Heute morgen hat sie doch irgendwas dahergeschwatzt, von einem Untersuchungsführer, den sie sprechen wollte. Wahrscheinlich hätte ich ihm das sagen müssen. Aber andererseits, die Alte kann ja sonstwas zusammenflunkern. Sie will nach Hause, wie alle Patienten. Ich muß hinterherdie Verantwortung übernehmen, ihre Aussagen bestätigen und ihre Zurechnungsfähigkeit prüfen. Als hätte ich nicht genug zu tun!
***
Jegor Barinow gingen die Haare erst spät aus, dann aber sehr rasch. Er mochte seinen grauen Igelkopf, der kurze männliche Haarschnitt stand ihm gut, aber als er auf die Fünfzig zuging, begann die rosa Kopfhaut verräterisch durchzuschimmern. Kein Wundermittel wollte helfen. Gegen das Alter gibt es keine Arznei, es
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