Club Kalaschnikow
Lunjok mit einem hilflosen Lächeln mit, daß sie nichts anderes könne als tanzen und von Gelddingen nichts verstehe.
Die Wohnung und den Wagen würde ihr niemand wegnehmen, aber das Theater wäre ruiniert. Sie könnte natürlich bei einer anderen Truppe unterkommen. Aber die würden ihre eigenen Primaballerinen und Solistinnen haben, die nicht weniger talentiert waren als sie. Mit dreißig Jahrennoch einmal von vorn anfangen und im Corps de Ballet die Beine schwingen – nein, danke.
Und später, mit vierzig? Choreographie im »Haus der Kultur« unterrichten? Auch dann müßte sie sich für Geld interessieren, aber es ginge nur noch um Groschen.
Und die Truppe? Einige würden ein neues Engagement finden, aber viele würden auf der Straße stehen. Schuld wäre nur sie allein.
Also mußte sie morgen vormittag im Gespräch mit Lunjok deutlich und klar »Ja« sagen. Es war nicht schlimm, daß sie vom Glücksspiel nicht viel verstand – wenn sie wollte, würde sie es lernen. Lunjok würde ihr Mitarbeiter und Berater zur Verfügung stellen.
Valera Lunjok war ein wunderbarer Mensch, fast ein Mitglied der Familie. Gleb und er waren eng befreundet gewesen. Aber es gab auch noch eine andere Seite, eine kalte, harte, geschäftliche. Lunjok war liebenswürdig und wußte sich zu benehmen, aber er war ein Bandit, ein »Dieb im Gesetz«. Früher brauchte man sich darüber keine Gedanken zu machen. Jetzt schon.
Aber vor allem, wenn sie das Casino übernähme, würde sie sehr bald nicht mehr tanzen können. Zeit und Kraft würden nicht für beides ausreichen.
Bei diesem Gedanken krampfte sich in ihrem Inneren alles zusammen, die Muskeln verspannten sich, und das Bein erstarrte mitten in einem hohen Sprung. Die Musik war längst zu Ende. Es war Zeit zu duschen und ins Bett zu gehen. Mein Gott, wie still es war. Schon zwei Uhr nachts, Katja hatte gar nicht gemerkt, wie die Zeit verflogen war.
Und plötzlich wurde die Stille von einem furchtbaren, verzweifelten Schrei zerrissen. Eine Frau schrie auf dem leeren Hof durchdringend um Hilfe. Katja schrak zusammen, rannte zum Fenster, konnte aber nichts erkennen. Der beleuchtete Platz vor dem Hauseingang war leer, und der restliche Teil des Hofes war in Dunkel gehüllt. DerSchrei wiederholte sich, ging dann in lautes hysterisches Schluchzen und Jammern über. Ohne lange nachzudenken, zog Katja Turnschuhe über die Wollstrümpfe, warf einen Mantel über, schnappte sich die Gaspistole, die in einer Schublade des Flurschränkchens lag, und stürzte nach draußen.
Im Hof war keine Menschenseele. Aus der Dunkelheit, vom Kinderspielplatz, hörte man ein monotones Gejammer: »Ach, du dreimal verdammter Unglücksrabe, was hast du nur angestellt? Mein Lieber, mein Einziger, mein Stinkebock …«
Auf dem Boden vor der Bank lag ein dunkler Haufen. Daneben kauerte eine Frau und weinte. Der Wind fuhr durch die Büsche, die diesen Teil des Hofes von dem erleuchteten Stück vor dem Hauseingang trennten. Licht fiel auf die Frau. Katja sah, daß sie eine Halbliterflasche Wodka in der Hand hielt. Der unförmige Haufen war ein Mann, ein Stadtstreicher. Er lag bewegungslos in einer seltsamen, verkrümmten Stellung.
Als Katja näher herantrat, erkannte sie die kräftige große Frau, die sich vor zwei Tagen auf Boris gestürzt und ihn verprügelt hatte.
Die Frau blickte zu ihr hoch, schniefte laut und sagte heiser:
»Guck du doch mal nach, ja? Ich hab Angst.«
»Was soll ich gucken?«
»Er atmet nicht.«
»Wer?« fragte Katja leise, obwohl sie die Antwort schon wußte, und kauerte nieder.
»Boris, dieser Hundesohn … Da, die Flasche hier lag neben ihm, nicht ausgetrunken. Und es war doch bloß ein halber Liter. Er hat noch was dringelassen.« Sie hob die Flasche an die Lippen.
Ohne nachzudenken, packte Katja sie sofort am Arm: »Nicht trinken!«
Siwka starrte sie verstört an, fluchte, trank aber nicht.
»Meinst du, er hat sich vergiftet? Aber das ist guter Wodka, ›Stolitschnaja‹.«
An so etwas hatte Katja noch gar nicht gedacht – nur daran, daß man schleunigst den Notarzt rufen mußte. Siwka war bereits schwer betrunken, noch ein paar Schluck, und sie würde ganz hinüber sein. Katja stellte die Flasche beiseite, auf den Rand des Sandkastens, drehte vorsichtig den Kopf von Boris zu sich herum und blickte ihm ins Gesicht. Unter den angeschwollenen, schweren Lidern sahen sie trübe tote Augen an.
Kapitel 26
»Kannst du mir erklären, welchen Sinn das haben soll?« fragte
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