Club Kalaschnikow
ohne eine Antwort abzuwarten, mit: »Mitjai wird dich morgen vormittag um zehn Uhr abholen.«
»Valera, bitte etwas später, so gegen elf. Ich möchte ausschlafen.«
»Nein, Katja, Mitjai kommt um zehn. Frühstücken kannst du bei mir. Es geht um wichtige Dinge, die keinenAufschub dulden. Sag mal, wieso bist du denn so bedrückt?«
»Merkt man das etwa?«
»Du bist finsterer als beim Begräbnis.«
»Weißt du, ich war heute morgen im Leichenschauhaus«, sagte Katja zu ihrer eigenen Überraschung, »ich mußte zu einer Identifizierung. Wieder ein Mord, nur diesmal nicht durch Erschießen, sondern durch Erdrosseln. Ich erzähl’s dir morgen, Valera, ja? Heute fehlt mir die Kraft dazu.«
»Morgen die Einzelheiten, jetzt die wichtigsten Fakten«, sagte Lunjok hart.
»Erinnerst du dich, als wir gestern im Treppenhaus standen, da kam so eine ältere betrunkene Frau?«
»Ja. Weiter?«
»Ihre Tochter Swetlana ist am Samstag verschwunden. Ich kenne beide seit der Kindheit, heute habe ich sie angerufen, um zu hören, wie die Lage ist. Ihre Tochter war noch nicht wieder aufgetaucht, und ich bin mit dieser Frau zur Miliz gefahren. Wir brauchten gar keine Vermißtenmeldung mehr zu machen, es stellte sich sofort heraus, daß ihre Tochter tot auf einer verlassenen Baustelle gefunden worden ist.«
»Soso«, sagte Valera gedehnt, »sehr interessant. Wie ist ihr Name?«
»Petrowa. Ella Anatoljewna und Swetlana. Die Miliz glaubt, es handle sich um Raubmord.«
»Sweta Petrowa, Masseurin«, sagte Lunjok langsam.
»Wie, kennst du sie etwa?« fragte Katja erstaunt.
»Was sagst du, wann hat man sie umgebracht?« fragte Lunjok statt einer Antwort.
»Samstagabend. Oder eher Samstagnacht. Valera, wenn dich das wirklich interessiert, dann erzähle ich dir morgen alles im einzelnen, einverstanden? Ich bin müde, mit den Nerven herunter und kriege kaum noch einen vernünftigen Satz auf die Reihe. Kannst du dir vorstellen, wie man sichneben einer Mutter fühlt, die erfährt, daß man ihr einziges Kind ermordet hat?«
»Warst du allein bei ihr?« fragte Lunjok plötzlich.
»Gott sei Dank nicht.«
»Mit wem denn?«
Eine unangenehme Pause entstand.
»Schon gut, kein Grund zur Beunruhigung«, sagte Lunjok freundlich, »von Pawel Dubrowin weiß ich schon. Du bist doch mit ihm zu dieser Petrowa gefahren?«
»Valera, entschuldige, aber hast du etwa Schnüffler auf mich angesetzt?« sagte Katja, nervös auflachend.
»Nein, wozu?« Er lachte ebenfalls. »Dein Leben liegt auch so klar auf der Hand.«
»Auf wessen Hand?« wollte sie amüsiert wissen.
»Auf meiner natürlich!«
Nachdem sie sich verabschiedet und aufgelegt hatte, schaltete Katja beide Telefone aus, ging in ihr Zimmer, streifte den Rock ab, zog sich dicke wollene Kniestrümpfe über die Strumpfhose, legte eine CD mit vokalen Jazz-Improvisationen von Nancy Wilson ein und begann mit ihrem Aufwärmtraining. Zuerst die Bodenübungen, wenigstens ihr Tagesminimum, vierzig Minuten, trotz Müdigkeit und Nervosität. Dann an der Stange, ebenfalls nicht weniger als vierzig Minuten. Wenn die Kraft reichte, wollte sie noch ein Stück aus ihrer Rolle in dem neuen Ballett wiederholen, das sie gerade einstudierten; es hatte noch gar keinen Namen, nur einen vorläufigen Arbeitstitel – »Die süßen Sechziger«. Eine Komposition zu Schlagerthemen aus den frühen sechziger Jahren, lustig und traurig zugleich, mit den zeittypischen Tänzen.
Aber würde sie überhaupt noch aufgeführt werden, diese großartige Komposition? Was würde überhaupt aus dem Theater werden?
Gestern nach dem Begräbnis hatte Valera sie zu seinem Wagen geführt. Nach einigen mitfühlenden Worten, daß dieZeit alle Wunden heilt und sie jetzt stark sein müsse, hatte er gesagt, es sei ihm lieber, wenn sich die prozentuale Beteiligung am Aktienpaket des Casinos nicht ändere und der Gleb gehörende Teil in einer Hand bliebe. Formell gäbe es drei Erben: die Mutter, den Vater und die Witwe. Er sei bereit, den ganzen juristischen Papierkram zu erledigen.
»Ich bin der Ansicht, du solltest die alleinige Erbin Glebs werden«, sagte Lunjok nachdenklich, aber auch sehr bestimmt. »Konstantin Iwanowitsch hat schon seinen Anteil an der Aktienmehrheit, und es wäre nur gerecht, wenn der gesamte Anteil von Gleb auf dich überginge.«
Katja erwiderte, sie fühle sich durch sein Vertrauen sehr geschmeichelt, aber das sei ein zu wichtiges Gespräch und es sei besser, es auf ein anderes Mal zu verschieben.
»Eben weil es
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