Cobra
zustimmen, dass wir beträchtlich mehr Informationsmaterial benötigen, bevor wir eine Entscheidung auch nur in Erwägung ziehen können. Fürs Erste sollte die Sache also geheim gehalten werden. Nun gut – als letzter Tagesordnungspunkt steht die Liste der Cobra-Bewerber an, der der Rat zustimmen muss.« Die zwölf Namen – eine ungewöhnlich hohe Zahl – erschienen auf Corwins Bildschirm, zusammen mit ihren Heimatstädten und Distrikten. Sämtliche Namen waren ihm bekannt. Die Tester hatten ihre Ergebnisse fast einen Monat zuvor eingeschickt. Justin Moreau war der siebte Name auf der Liste.
»Gibt es Einwände dagegen, dass diese Bürger Cobras werden?« Stiggur stellte die übliche Frage. Ein paar Köpfe in der Nähe drehten sich in Corwins Richtung. Er biss die Zähne aufeinander und hielt den Blick fest auf den Generalgouverneur gerichtet. »Nein? Damit bestätigt der Rat die Entscheidung der Vertreter der Cobra-Akademie und weist sie hiermit an, mit den unumkehrbaren Stufen des Cobra-Prozesses zu beginnen.« Stiggur drückte auf einen Knopf, und die Bildschirme im Raum erloschen. »Die Ratssitzung ist hiermit geschlossen.«
Die unumkehrbaren Stufen. Corwin hatte diese Worte mindestens schon zwanzigmal zuvor bei diesen Sitzungen gehört, doch irgendwie hatten sie niemals so endgültig geklungen. Andererseits hatte sein jüngerer Bruder auch noch nie auf der Liste gestanden.
Justin Moreau ließ den Wagen vor dem Haus ausrollen und spürte, wie sich die Anspannung in seinen Schultern durch seine Arme hindurch bis in seine Hände fortsetzte. Er umklammerte das Lenkrad, bis sich die Knöchel weiß färbten. Erst vor einer Stunde hatte er per Fon die Nachricht erhalten, dass der Rat seiner Bewerbung zugestimmt hatte. Morgen würden die Operationen beginnen, mit denen er endgültig in die Fußstapfen seines Vaters trat … heute Abend jedoch musste er zunächst einmal seiner Mutter in die Augen sehen.
»Bist du bereit?«, fragte Joshua auf dem Sitz neben ihm.
»So bereit wie nie zuvor.« Justin öffnete die Tür, stieg aus und machte sich zum Haus auf. Sein Bruder fiel hinter ihm in seinen Schritt ein.
Auf Joshuas Klopfen öffnete Corwin, und trotz seiner Angespanntheit ertappte er sich dabei, wie er die halbe Sekunde genoss, die sein älterer Bruder benötigte, um ihn zu erkennen. Selbst für eineiige Zwillinge waren Joshua und Justin außergewöhnlich schwer auseinanderzuhalten, ein Umstand, der in ihrem Leben ungezählte Male für Verwirrung gesorgt hatte. Die Familie und die engen Freunde brachten das Kunststück normalerweise fertig, doch auch ihnen blieb ein heimlicher Tausch der Uniformjacken manchmal stundenlang verborgen. Als sie noch jünger gewesen waren, hatten sie derlei Unfug unzählige Male getrieben, ein Spiel, das sie erst aufgegeben hatten, als ihr Vater damit drohte, sie mit großzügigen Mengen von Farbe zu kennzeichnen.
»Joshua, Justin.« Corwin nickte und sah sie dabei nacheinander an, als wollte er damit beweisen, dass er sie richtig getroffen hatte. »Die, die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung auf eine lockere Unterhaltung fahren. Heute Abend tagt der Kriegsrat der Moreaus.«
Na, großartig, stöhnte Justin innerlich. Doch Corwin war zur Seite getreten, Joshua befand sich bereits im Haus, und es war zu spät, jetzt noch einen Rückzieher zu machen. Justin drückte die Schultern durch und folgte ihm.
Seine Eltern saßen auf dem Wohnzimmersofa, und aus Gewohnheit musterte Justin seinen Vater kurz von Kopf bis Fuß. Er sah vielleicht ein wenig schwächer aus als beim letzten Mal, aber nicht viel. Vielsagender war das leicht gequälte Flackern in seinen Augen, als er sie mit einem knappen Wink begrüßte. Im Grunde beeinträchtigten die Schmerztabletten gegen die Arthritis seine Konzentrationsfähigkeit kaum, und wenn er sich entschied, ohne sie auszukommen, lief sein Verstand auf Hochtouren. Ein kurzer Blick auf das verbitterte Gesicht seiner Mutter bestätigte das, und eine volle Minute lang fragte sich Justin, ob er das Maß
des Widerstandes innerhalb der Familie gegen seinen Ehrgeiz, ein Cobra zu werden, nicht drastisch unterschätzt hatte.
Doch sollte er sich gründlich getäuscht haben. »Das Abendessen ist in ungefähr einer halben Stunde fertig«, erklärte Jonny den Zwillingen, als sie Platz nahmen. »Bis dahin würde ich gerne wissen, was ihr über den Vorschlag denkt, mit dem Stiggur heute die Ratssitzung überrascht hat. Corwin?«
Corwin wählte sich einen Platz,
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