Cobra
und nickte. »Ich hab gehört, in den Vergnügungszentren der Stadt kann man gut Karten spielen.«
»Und eine ganze Menge anderer Sachen machen.« Deutsch nickte. »Druma? Jonny? Was ist?«
Jonny zögerte. Ihm gingen die Worte seines Bruders über Dekadenz und das Festhalten an moralischen Grundsätzen durch den Kopf. Trotzdem, Viljo hatte Recht: Nirgendwo in ihren mündlichen oder schriftlichen Befehlen war davon die Rede, dass sie den Komplex nicht verlassen durften.
»Komm schon, Jonny.« Viljo gebrauchte zum ersten Mal seit Tagen seinen Vornamen. »Wenn du es nicht als Erholung akzeptieren kannst, stell dir vor, es wäre eine Übung für das Vordringen in eine vom Feind besetzte Stadt.«
»Na gut«, sagte Jonny. Schließlich brauchte er in der Stadt nichts zu tun, was er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. »Ich will mir nur noch eben meine andere Hose anziehen.«
»Phrij drauf«, unterbrach ihn Viljo. »Die sehen doch prima aus. Hör auf, Zeit zu schinden, und lass uns losziehen. Druma?«
»Na gut, was soll’s?«, willigte Singh ein. »Aber nicht lange.«
»Du kannst zurück, wann immer du willst«, beruhigte ihn Halloran. »Sobald wir in der Stadt sind, kann jeder tun und lassen, was er will. Gut. Durch das Fenster?«
»Durch das Fenster und dann nach oben.« Viljo nickte. »Licht aus … und los geht’s.«
Wie sich herausstellte, war es weit einfacher, das Gelände des Komplexes zu verlassen, als Jonny erwartet hatte. Vom Dach ihres Flügels ließen sie sich auf einen dunklen Exerzierplatz hinunter, der von den normalen Armeerekruten in Freyr benutzt wurde. Nachdem sie ihn überquert hatten, kamen sie an eine leicht zu überwindende Außenmauer. Sie umgingen die simple Lichtschranke der Alarmanlage und stiegen hinüber. »Das war’s«, meinte Deutsch vergnügt. »Nichts als zehn Kilometer offenes Feld und Vororte zwischen uns und dem Vergnügen. Der Erste gewinnt!«
Obwohl sie ihr Tempo drosseln mussten, als sie bewohntes Gebiet erreichten, brauchten sie nur eine halbe Stunde für den Weg … und Jonny bekam einen ersten Eindruck davon, wie eine richtige Stadt aussah.
Nachher konnte er sich kaum noch an diesen ersten Sprung ins Nachtleben im Zentrum des Imperiums erinnern. Deutsch übernahm die Führung und schleppte sie auf einem schwindelerregenden, gewundenen Pfad durch die Shows, die Nachtbars, Restaurants und Vergnügungszentren. Diese hatte er in den Wochen zwischen seiner Ankunft von Iberiand und seinem Eintritt bei den Cobras eingehend ausgekundschaftet. In dem Viertel schienen sich mehr Menschen zu drängen, als Jonny je auf einmal gesehen hatte – Zivilisten in eigenwillig geschnittener, leuchtender Kleidung oder mit wildem Make-up sowie Militärpersonal sämtlicher Einheiten und Dienstgrade. Die Stimmung war viel zu gesellig, als dass Jonny sich hätte unwohl fühlen können, doch aus dem gleichen Grund war sie ihm auch zu fremd, um sich wirklich zu entspannen und die Atmosphäre zu genießen. Heraus kam ein lausiger Kompromiss, und bereits nach zwei Stunden hatte er genug. Er entschuldigte sich bei Deutsch und Singh – den Einzigen, die von den ursprünglich sechs noch zusammen waren – und bahnte sich seinen Weg durch die Menschenmassen zurück in die wohltuende Dunkelheit außerhalb der Stadt. Wieder in den Komplex hineinzukommen war nicht schwerer als das Herausschleichen, und kurze
Zeit später schlüpfte er durch das Fenster in ihr dunkles und verlassenes Zimmer. Er ließ das Licht aus und machte sich rasch zum Schlafengehen fertig.
Jonny hatte vielleicht eine halbe Stunde in seiner Koje gelegen und versucht, seinen überaktiven Geist in den Schlaf zu zwingen, als er ein Geräusch am Fenster hörte und die Augen aufschlug. »Wer ist da?«, flüsterte er deutlich vernehmbar, als eine Gestalt in das Zimmer schlüpfte.
»Viljo«, raunte dieser gepresst. »Bist du allein?«
»Ja«, sagte Jonny und schwang seine Beine aus dem Bett. Irgendetwas in Viljos Stimme klang entschieden falsch. »Was ist passiert?«
»Ich dachte, Mendro und die Militärpolizei wären inzwischen schon hier gewesen«, sagte Viljo besorgt und ließ sich rücklings in seine Koje fallen. »Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, ich sitze in der Patsche.«
»Was?« Jonny stellte seine optischen Verstärker schnell eine Stufe höher. Im Restlicht wirkte Viljos Gesichtsausdruck angespannt, aber er schien unverletzt zu sein. »Und?«
»Ach, ich hatte hinter einer Bar eine kleine Auseinandersetzung
Weitere Kostenlose Bücher