Cobra
hilflosen Faust geballt hatte. Yorks Arm … Sie bemühte sich, den Blick abzuwenden, doch der war ebenso fest an der Szene festgefroren wie Joshuas Augen. Es sah aus wie eine wüste, willkürliche Sektion von Yorks Arm – nur dass York noch immer lebte. Im Augenblick noch.
Nnamdi neben ihr würgte und floh aus dem Raum. Sie bemerkte es kaum.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, doch wahrscheinlich waren es nur wenige Sekunden, bis Rynstadt an Yorks Seite auftauchte, in der zitternden Hand eine kleine Dose Wundspray. Er sprühte es York auf den Arm, schludrig und mit der mangelnden Gleichmäßigkeit eines Amateurs, doch als die Dose zischend zur Neige ging, hatte Cerenkov sich aus seiner Starre gerissen und war mit einer frischen Dose zur Stelle. Gemeinsam gelang es ihnen, die schlimmsten Blutungen zu stillen.
Während der ganzen Zeit rührte sich Joshua nicht mal. Er hat vor Angst den Verstand verloren, dachte Telek. Dass ein Junge so was mit ansehen muss!
»Gouverneurin!« F’ahls Stimme aus dem InterKom ließ sie auffahren. »Wird er durchkommen?«
Sie zögerte. Jetzt, wo der Blutverlust gestoppt war und Antischockmittel im Spray Yorks Kreislauf stabilisierten, war sie trotzdem klug genug, sich keine falschen Hoffnungen zu machen. »Keine Chance«, meinte sie ruhig zu F’ahl. »Es sei denn, er kommt innerhalb der nächsten Stunde auf die Dewdrop , wo wir ihn medizinisch versorgen können.«
»Almo?«
»Könnte ihn vielleicht rechtzeitig herschaffen. Aber das wird er nicht tun. Bei dem Versuch würde er nur selbst draufgehen.« Die Worte brannten ihr im Mund, aber sie stimmten, das wusste sie. Jetzt, da die Qasamaner und ihre Vögel aus der übertriebenen Selbstsicherheit gerissen worden waren, die sie anfangs vielleicht empfunden hatten, würde es Pyre nicht mal schaffen, sich dem Transporter auf zehn Meter zu nähern. Versuchen würde er es allerdings trotzdem …
Damit gab es jetzt keine andere Möglichkeit mehr. »Captain, machen sie die Dewdrop startklar«, sagte sie, während ihr Blick sich endlich vom Display löste, nur um sich auf Justin zu heften, der auf seiner Liege lag. Auch er hatte die Fäuste geballt, doch eine Reaktion darauf, dass sie seinen Bruder gerade zum Tod verurteilt
hatte, war ihm nicht anzumerken. »Wir werden versuchen, so viele Waffen wie möglich im Tower und im Wald auszuschalten und darauf hoffen, dass das Schiff dem Rest, den wir nicht zerstören können, standhält.«
»Verstanden, Gouverneurin.«
Telek wandte sich dem Eingang des Salons zu, wo Winward und Link standen. Ihre Gesichter waren blass und verbittert. »Von hier aus werden wir das nicht alles schaffen«, erklärte sie ihnen ruhig.
»Haben wir uns bereits gedacht«, knurrte Winward. »Wann sollen wir rausgehen?«
Die Startvorbereitungen würden mindestens zehn Minuten in Anspruch nehmen. »In ungefähr fünfzehn Minuten«, sagte sie.
Winward nickte. »Wir legen die Ausrüstung an.« Die beiden Cobras machten kehrt und verließen den Salon.
»Komplette Notpakete«, rief Telek ihnen hinterher.
»Klar«, hallte die Antwort durch den Gang zurück.
Aber sie konnte niemandem etwas vormachen, und alle wussten das. Selbst wenn die beiden Cobras den bevorstehenden Kampf überlebten, war die Chance nahezu null, dass die Dewdrop zurückkommen und sie aufsammeln konnte. Vorausgesetzt, die Dewdrop überstand den Spießrutenlauf, den sie vor sich hatte.
Nun, in etwa einer halben Stunde oder weniger würden sie das wissen. Bis dahin …
Bis dahin blieb genügend Zeit, mit anzusehen, wie Pyre bei seinem Rettungsversuch draufging.
Weil es ihre Pflicht war, richtete Telek ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Displays. Doch der Geschmack der Niederlage klebte ihr bitter auf der Zunge, und sie fühlte sich plötzlich sehr, sehr alt.
23
Joshua klopfte das Herz schmerzhaft bis hinauf in den Hals, seine Augen waren von Tränen der Angst und des quälenden Mitgefühls verklebt. Yorks entsetzliche Armverletzung hatte sich, jetzt vor den Blicken durch die weiße Kruste des Wundsprays verborgen, in Joshuas Gedächtnis eingebrannt, als wollte sich dieses Bild auf ewig dort festsetzen. O Gott, Decker, sagte er zu sich selbst. Decker!
Und er hatte nichts getan, um zu helfen. Weder während Yorks Fluchtversuch noch danach. Rynstadt und Cerenkov waren sofort mit ihren Verbandpacks zur Stelle gewesen, Joshua dagegen, voller Angst vor den Qasamanern und den Mojos, hatte keinen Finger gerührt. Nur auf ihn angewiesen, wäre York still
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