Cobra
schrecklichere Weise als Sun. Todor aber, der neben ihm auf der Gangseite saß, lebte noch und zuckte wie ein Kind, das einen Alptraum hat.
In Sekundenschnelle war Jin bei ihm. Sie hielt nur inne, um sich den Notverbandskasten aus dem vorderen Teil der Passagierkabine zu schnappen. Dann kniete sie neben ihm nieder, ignorierte die Schmerzen in ihrem lädierten Knie und machte sich an die Arbeit.
Aber schnell wurde klar, dass sowohl die Ausstattung des Verbandskastens als auch ihre Ausbildung in Erster Hilfe hoffnungslos unzureichend waren. Eine Behandlung der äußerlichen Wunden würde angesichts der schweren inneren Verletzungen, die ihre Sensoren aus Todors Brustkorb empfingen, kaum etwas nützen, Anti-Schock-Drogen würden gegen die schwere Gehirnprellung, die Todors Gehirn bereits gegen die keramikverstärkten Knochen seines Schädels zu pressen begann, nichts bewirken.
Aber Jin wollte – konnte – nicht aufgeben. Schwitzend, fluchend machte sie sich über ihn her und versuchte alles, was ihr in den Sinn kam.
»Jin.«
Das heisere Flüstern ließ sie derart vehement aufschrecken, dass sie das Hypospray fallen ließ. »Peter?«, fragte sie, hob den Kopf und sah ihm ins Gesicht. »Kannst du mich hören?«
»Vergeude … keine Zeit …«, hustete er, ein gequälter Satz, der ihm das Blut über die Lippen quellen ließ.
»Versuche, nicht zu sprechen«, sagte Jin zu ihm und hatte Mühe, sich das Entsetzen nicht in ihrer Stimme anmerken zu lassen. »Versuch einfach, dich zu entspannen. Bitte.«
»Kein … Sinn …«, flüsterte er. »Geh … mach, dass du von hier … verschwindest … jemand kommt. Bestimmt sind sie …«
»Peter, bitte, hör auf zu sprechen«, flehte sie ihn an. »Die anderen – Mandy und Rafe – sind tot. Ich muss dich am Leben erhalten …«
»Keine … Chance. Tut … zu weh. Die Miss … Mission, Jin … du … du musst.« Er hustete erneut, schwächer diesmal. »Verschwinde … versteck … dich irgendwo.«
Seine Stimme wurde schwächer, er verstummte, und einen Augenblick lang kniete sie noch neben ihm, hin- und hergerissen zwischen sich widersprechenden Verpflichtungen. Natürlich hatte er Recht, und je weiter ihr Verstand aus dem Schockzustand auftaute, desto klarer wurde ihr, wie knapp die Zeit war, die ihr blieb. Das Shuttle war abgeschossen worden … und wer immer das getan hatte, würde nach dem Wrack suchen und es inspizieren.
Aber wenn sie jetzt weglief, bedeutete das, Todor zurückzulassen. Alleine. Um zu sterben.
»Ich kann nicht, Peter«, sagte sie, und ihr letztes Wort ging in ein Schluchzen über. »Ich kann nicht .«
Es kam keine Antwort … und während sie hilflos zusah, ließ das Zucken in seinen Gliedmaßen nach. Sie wartete noch einen Augenblick ab, dann griff sie hinüber und berührte mit den Fingerspitzen seinen Hals.
Tot.
Vorsichtig zog Jin die Hand zurück und atmete tief und schaudernd durch, während sie ihre Tränen unterdrückte. Sie bemerkte einen sanften Lichtschein aus Todors Fingerspitzenlaser: Das neue, in ihre Ausrüstung eingebaute Selbstzerstörungssystem hatte sich aktiviert, zweigte Strom aus den Kondensatoren der Bogenwerfer ab und lenkte ihn auf den Nanocomputer und die Servosysteme. Und zerstörte so automatisch die Elektronik und Waffensysteme, ohne dass die geringste Hoffnung auf Rekonstruktion bestand, falls die Qasamaner seine Leiche finden und untersuchen sollten.
Nein. Nicht falls die Qasamaner ihn fanden – wenn sie ihn fanden. Sie verschloss die Augen vor dem Blutbad ringsum und versuchte nachzudenken. Jetzt lag der Absturz – wie lange zurück? Sie hatte kurz vor der ersten Explosion auf ihre Zeitschaltung geblickt.
Fast siebzig Minuten waren seitdem verstrichen. Siebzig Minuten. Herrgott – es war schlimmer, als sie gedacht hatte. Das Flugzeug, mit dem die Qasamaner im Alarmstart abgehoben sein dürften, um nach dem Ergebnis ihres Zielschießens zu sehen, konnte jede Minute über ihr sein, und auf einen Kampf war sie jetzt am allerwenigsten vorbereitet. Sie hielt sich an Todors Sitz fest, zog sich auf die Füße und arbeitete sich durch nach vorn.
Das Cockpit war in einem noch schlimmeren Zustand als die Passagierkabine, offenbar hatte es die Explosion überstanden, nur um die volle Wucht der Bruchlandung abzubekommen. Ein einziger Blick machte jede Hoffnung zunichte, Kontakt zur Southern Cross aufzunehmen und um Rat oder Hilfe zu bitten – der Funk- und Laserkommunikator des Shuttles ließ sich auf jeden Fall nicht
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