Cobra
um alle in Betrieb befindlichen Mikrofone zu stören, klemmte ihre Fingernägel hinter den Rand der Tür und zog sie auf.
Die beiden Posten, die mit dem Rücken zu ihr standen, hatten wahrscheinlich nicht einmal mitbekommen, dass jemand die Tür hinter ihnen geöffnet hatte, als Jin sie gleich an Ort und Stelle mit einem Stoß aus der Schallwaffe fällte. Sie hielt sich am Türpfosten fest, während ihr von den Nachwirkungen der Schallwaffe der Kopf brummte, lehnte sich hinaus in den Gang und blickte sich um. Niemand zu sehen – und dem Licht nach, das durch das Fenster weiter hinten im Gang hereinfiel, war es bereits früher Abend. Den ganzen Tag hatte sie verschlafen … Sie biss die Zähne zusammen und ging daran, die beiden bewusstlosen Posten zu beseitigen.
Die nächste Tür im Gang führte, wie sich herausstellte, in einen kleinen Waschraum, dessen Größe darauf schließen ließ, dass er nur für eine Person konstruiert war. Sie schleppte die Posten dort hinein und lehnte sie so gegen die Wand, dass sie die Tür zusätzlich verkeilten, nachdem sie sie geschlossen hatte. Ihre Ausbilder hatten sie immer wieder warnend darauf hingewiesen, dass die Dauer der durch Schallwaffen hervorgerufenen Bewusstlosigkeit sich je nach Person und Situation so stark veränderte, dass darauf kein Verlass war, aber da es in der Nähe nichts gab, um sie zu fesseln, musste sie einfach darauf hoffen, dass sie nicht allzu bald wieder aufwachten.
Ihr nächster Stopp war das Fenster weiter unten im Gang. Die Sonne stand tatsächlich bereits ein gutes Stück unterhalb der Westmauer von Mangus, wenn ihr Licht auch einen bunten Regenbogen quer über das Spanndach warf. Wichtiger noch, scheinbar
befand sie sich noch immer in dem Gebäude, in das man sie am Morgen gebracht hatte.
Was ihr eine sehr klare Vorstellung davon gab, wo sie mit ihren Ermittlungen beginnen sollte …
Noch immer wanderte eine Handvoll Menschen um das Gebäude herum, doch in der verhältnismäßigen Stille hörte Jin ihre Schritte mit den akustischen Verstärkern deutlich, und es war für sie ein Leichtes, ihnen aus dem Weg zu gehen. Es kostete sie mehrere Minuten und ein paar Irrwege, bis sie den Gang gefunden hatte, der zu der verzierten Tür von Obolo Nardins Mischung aus Büro und Thronsaal führte.
Als sie Obolo vorgestellt worden war, hatten keine Wachen vor der Tür gestanden, und auch jetzt sah Jin dort keine. Was entweder auf ein sehr gutes elektronisches Sicherheitssystem am Eingang selbst hindeutete, oder darauf, dass drinnen, hinter den Vorhängen verborgen, Wachen warteten. Sie wollte gerade um die Ecke biegen, um sich die Tür anzusehen, als erneut Schritte an ihre Ohren drangen. Sie zog den Kopf zurück.
Radig Nardin!
Jin biss sich auf die Lippe. Der Mann, der sie zu Obolo gebracht hatte, hatte sein Eintreffen über ein neben der Tür eingelassenes InterKom angekündigt, und irgendjemand drinnen hatte sie reingelassen. Mit Hinblick auf Qasamas Kultur schien es allerdings unwahrscheinlich, dass der Sohn des Direktors von Mangus eine solche Prozedur einhalten musste. Einer plötzlichen Eingebung folgend, schaltete sie ihre optischen Verstärker in Teleskopeinstellung und richtete sie auf die Tür.
Radig trat an den Türrahmen, drückte sechs Tasten in einem Nummernfeld, das sie zuvor nicht bemerkt hatte, und öffnete die Tür.
Jin huschte bereits durch den Gang zu der sich schließenden Tür, als ihr plötzlich bewusst wurde, dass es womöglich ein unnötig dummes Risiko wäre, sich direkt auf Radigs Fersen in Obolos Büro zu schleichen. Sie lief trotzdem weiter. Wenn sich Obolo
und Radig persönlich miteinander unterhielten, lohnte es sich vielleicht zu lauschen.
Unbemerkt erreichte sie die Tür und wiederholte Radigs Code auf dem Nummernfeld. Zu spät fiel ihr ein, dass das System möglicherweise auch auf Fingerabdruckmuster reagierte … aber Obolo hatte sich nicht die Mühe solch zusätzlicher Raffinesse gemacht, und mit einem leisen Klicken wurde die Tür entriegelt.
Sie öffnete sie gerade weit genug, um hindurchzuschlüpfen, schloss sie und ging sofort hinter dem nächsten Vorhang in Deckung. Der Raum war in leichten Dunst gehüllt, und fast wäre sie beim ersten Atemzug erstickt. Chemikalienrauch, erkannte sie und musste an das unnatürliche Glänzen in Nardin seniors Augen vorhin denken. Vermutlich eine dieser wundersamen gedächtnisanregenden Drogen. Sie programmierte ihre akustischen Verstärker, streifte ihre Schuhe ab und
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