Cocktail fuer einen Vampir
wusste, was mein Cousin wirklich war, und ich wusste, dass er irgendeine furchtbare Intrige spann.
Ich verließ das kleine Haus, nachdem ich mit dem Fingerüber die samtweiche Wange des Babys gestrichen hatte. »Du hast so ein Glück«, flüsterte ich Tara zu.
»Das sag ich mir selbst jeden Tag«, erwiderte sie. »Jeden Tag.« In den Gedanken meiner Freundin konnte ich das Kaleidoskop schrecklicher Szenen sehen, aus denen ihre Kindheit bestanden hatte: ihre Alkoholikereltern, all die Drogenabhängigen, die bei ihr zu Hause ein und aus gegangen waren, und ihre eigene Entschlossenheit, über dies asoziale Dasein hinauszuwachsen, über die Erniedrigung und all das Elend. Dieses kleine adrette Haus, diese hübschen Babys, ein nüchterner Ehemann – das war das Paradies für Tara.
»Pass auf dich auf, Sookie«, sagte sie und sah mich etwas ängstlich an. Sie war nicht umsonst schon so lange mit mir befreundet.
»Und du pass auf diese Kleinen da auf. Mach dir keine Sorgen um mich. Mir geht’s gut.« Ich warf meiner Freundin das selbstsicherste Lächeln zu, das ich zustande brachte, und verließ das Haus leise, indem ich die Tür ganz sanft ins Schloss zog.
Ich fuhr in den Drive-in-Schalter der Bank, um Geld aus dem Automaten zu holen, und dann fuhr ich weiter zu der neu eröffneten Anwaltskanzlei »Osiecki & Hilburn«. Manche behaupteten, in Bon Temps gebe es ohnehin schon zu viele Anwälte, aber sie schienen alle gut beschäftigt und erfolgreich zu sein; und da Sid Matt Lancaster, der eine sehr große Kanzlei gehabt hatte, vor Kurzem gestorben war, brauchten all seine Klienten neue Rechtsberater.
Warum ich mich für die »Neuen in der Stadt« entschieden hatte?
Aus genau diesem Grund: Sie waren neu, ich kannte sie nicht, und sie kannten mich nicht. Ich wollte einen frischenStart. Jarrell Hilburn hatte ich schon einmal aufgesucht, wegen der Transaktion mit Sam. Heute hatte ich einen Termin bei Beth Osiecki, die auf Nachlassverwaltung spezialisiert war. Und weil sie neu war, hatte sie sich bereit erklärt, mich auch an einem Samstag zu empfangen.
Ein junges, kaum dem Teenageralter entwachsenes Mädchen saß an dem Empfangstisch des kleinen Vorzimmers der Kanzlei mit Ladenfront. Beth Osiecki und Jarrell Hilburn hatten das Erdgeschoss eines alten Gebäudes gemietet, das gleich beim Marktplatz stand. Ich war mir sicher, dass die Elektrik mal überholt werden müsste, aber es war alles frisch gestrichen und mit guten Büromöbeln aus zweiter Hand ausgestattet. Ein paar Topfpflanzen ließen alles gleich noch ein bisschen netter aussehen, und im Hintergrund dudelte keine Musik – ein enormes Plus. Das junge Mädchen, das nicht einmal ein Namensschild trug, sah mich strahlend an und warf einen Blick in den Terminkalender der Kanzlei, der große weiße Flächen aufwies.
»Sie müssen Ms Stackhouse sein«, sagte sie.
»Ja. Ich habe einen Termin bei Ms Osiecki.« Ich sprach den Namen einfach irgendwie aus.
»Oh-ßiek-ie«, korrigierte sie sehr leise, vermutlich damit die Namensträgerin es nicht hörte.
Ich nickte zum Zeichen, dass ich es begriffen hatte.
»Ich sehe mal nach, ob sie so weit ist«, sagte das junge Mädchen, sprang auf und ging den kleinen Flur entlang, der zu den anderen Räumlichkeiten der Kanzlei führte. Es gab eine Tür rechts und eine links, und dahinter schien der Flur sich zu einem Gemeinschaftsbereich zu erweitern. Ich konnte einen großen Tisch und ein Bücherregal voll dicker Bücher erkennen, die Art Bücher, die ich niemals zur Hand nehmen würde.
Ich hörte ein forsches Klopfen und ein Gemurmel, und dann war das junge Mädchen wieder da. »Ms Osiecki erwartet Sie«, sagte sie mit einer raumgreifenden Geste.
Ich holte noch einmal tief Luft, und dann ging ich den Flur entlang, um mit Ms Osiecki zu sprechen.
Hinter einem breiten Schreibtisch stand eine Frau um die dreißig auf, mit gut geschnittenem kurzem, rötlich braunem Haar, blauen Augen und einer braunen Brille. Sie trug eine hübsche weiße Bluse, einen wild geblümten Rock und Sandaletten mit hohen Absätzen. Und sie lächelte.
»Ich bin Beth Osiecki«, stellte sie sich vor für den Fall, dass ich mich zwischen dem Empfang und ihrem Büro verlaufen hatte.
»Sookie Stackhouse«, sagte ich und schüttelte ihre ausgestreckte Hand.
Sie sah auf ihr Notizbuch, und ich konnte erkennen, dass sie kurz die Notizen überflog, die sie sich gestern gemacht hatte, als ich sie anrief. Hinter ihrem Schreibtisch hing ein großes
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