Cocktails fuer drei
durch einen sauberen. Als er ging, war ihr, als sähe sie etwas in seiner Miene – Mitleid vielleicht. Oder Verachtung. An beides war sie gewöhnt. So wie die vielen Jahre in der prallen Sonne ihre Haut verhärtet hatten, so hatten die Jahre des Wartens, der Enttäuschung und Erniedrigung ihren inneren Panzer gestärkt.
Wie viele Stunden ihres Lebens hatte sie schon so verbracht? Wie viele Stunden hatte sie auf einen Mann gewartet, der sich oft verspätete und die Hälfte der Zeit überhaupt nicht kam? Natürlich gab es immer eine Entschuldigung. Eine Krise bei der Arbeit. Eine unvorhergesehene Begegnung mit einem Familienmitglied. Einmal hatte sie in einem Londoner Restaurant gesessen und auf ein gemeinsames Mittagessen zur Feier ihres dritten Jahrestages gewartet, als sie ihn plötzlich mit seiner Frau hereinkommen sah. Entsetzt und hilflos hatte er einen Blick zu ihr herübergeworfen, und sie hatte mit ansehen müssen, wie man ihn und seine Frau an einen Tisch führte. Es war ein Schmerz wie Säure in ihrem Herzen, als sie sah, wie seine Frau ihn düster und gelangweilt betrachtete.
Später hatte er ihr erklärt, Cynthia sei ihm zufällig über den Weg gelaufen und habe darauf bestanden, ihn zum Mittagessen zu begleiten. Er hatte Roxanne erklärt, wie elend ihm zumute gewesen sei und dass er keinen Bissen herunterbekommen habe, unfähig, Konversation zu betreiben. Um es wiedergutzumachen, hatte er am nächsten Wochenende alles andere abgesagt und war mit Roxanne nach Venedig geflogen.
Roxanne schloss die Augen. An diesem Wochenende war sie trunken vor Glück gewesen. Sie hatte eine reine, unschuldige Freude empfunden wie noch nie, eine Freude, die sie noch immer so sehnsüchtig suchte wie ein Drogensüchtiger den nächsten Schuss. Hand in Hand waren sie über staubige alte Plätze spaziert, an Kanälen entlang, die im Sonnenschein glitzerten, über baufällige Brücken. Sie hatten Prosecco auf der Piazza San Marco getrunken und Strauß-Walzer gehört. Sie hatten sich auf dem altmodischen Holzbett in ihrem Hotel geliebt, auf dem Balkon gesessen, sich die Gondeln angesehen, die dort vorüberzogen, und den Klängen der Stadt gelauscht, die übers Wasser zu ihnen kamen.
Kein einziges Mal hatten sie seine Frau oder die Familie erwähnt. An diesem Wochenende hatten vier menschliche Wesen einfach nicht existiert. Als hätten sie sich in Luft aufgelöst.
Roxanne schlug die Augen auf. Sie verbot sich, an seine Familie zu denken. Sie schwelgte nicht mehr in bösen Fantasien über Autounfälle und Lawinen. Das führte am Ende nur zu mehr Schmerz, Selbstverachtung, Unentschlossenheit. Ihr war klar, dass sie ihn niemals für sich allein haben würde. Dass es keinen Autounfall geben würde. Dass sie die besten Jahre ihres Lebens an einen Mann vergeudete, der einer anderen Frau gehörte, einer treuen, braven Frau, der er geschworen hatte, sie sein Leben lang zu lieben und zu ehren. Die Mutter seiner Kinder.
Die Mutter seiner Scheißkinder.
Ein vertrauter Schmerz brannte in Roxannes Herz, und sie trank ihre Bloody Mary aus, legte einen Zwanziger in das Ledermäppchen mit ihrer Rechnung und stand in aller Ruhe auf, mit gleichgültiger Miene.
Als sie sich auf den Weg zum Ausgang der Bar machte, stieß sie beinah mit einer jungen Frau in einem schwarzen Lurexkleid zusammen. Sie war stark geschminkt und fiel mit den rot gefärbten Haaren und goldglänzendem Schmuck unweigerlich auf. Roxanne wusste sofort Bescheid. Solche Frauen gab es überall in London. Von irgendeiner großen Firma als Abendbegleitung dafür engagiert, zu lachen und zu flirten und – für ein gewisses Honorar – noch manches mehr. Einige Stufen über den Nutten in Euston und einige Stufen unter den Vorzeigefrauen im Restaurant.
Früher hätte sie eine solche Person verachtet. Jetzt jedoch, als sie der Frau in die Augen sah, schien es ihr, als gäbe es da so etwas wie gegenseitiges Verständnis. Beide waren sie vorübergehend vom Pfad der Tugend abgekommen. Beide waren in Situationen gelandet, über die sie früher ungläubig gelacht hätten. Denn wer plante schon, als Hostess zu enden? Wer plante schon, sechs Jahre lang die Geliebte eines verheirateten Mannes zu sein?
Die Erkenntnis schnürte Roxanne fast die Kehle zu, und eilig marschierte sie an der Frau vorbei, aus der Bar hinaus und durch die Hotelhalle.
»Taxi, Madam?«, fragte der Portier, als sie in die kalte Nachtluft trat.
»Danke«, sagte Roxanne und zwang sich zu lächeln, den Kopf hoch zu
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