Cocktails fuer drei
stellte sie fest, dass es nur zwanzig Minuten gewesen waren.
Jetzt war es halb zehn. Der Tag hatte noch nicht einmal begonnen, und doch kam sie sich vor, als säße sie schon seit einer Ewigkeit am Küchentisch. Wie konnte es sein, dass die Zeit, die in London derart rar und kostbar war, hier so langsam zu vergehen schien? Wie Honig in einem Stundenglas.
Maggie schloss die Augen, nahm noch einen Schluck Kaffee und überlegte, was sie normalerweise um diese Uhrzeit trieb. Alles Mögliche. Sich in der U-Bahn durchschütteln lassen, Zeitung lesen. Zum Büro spazieren. Einen Cappuccino im Coffee Shop an der Ecke kaufen. Tausend E-Mails beantworten. In einer Morgenbesprechung sitzen. Lachen, reden, umgeben von Leuten.
Und gestresst sein, wie sie sich in Erinnerung rufen musste, bevor es allzu positiv klang. Von Pendlern angerempelt, von Taxiabgasen erstickt, vom Lärm betäubt, von Abgabeterminen bedrängt. Hier hingegen kam das einzige Geräusch von einem Vogel draußen vor dem Fenster, und die Luft war frisch und sauber wie Quellwasser. Und sie hatte keinen Druck, keine Meetings, keine Deadlines.
Abgesehen natürlich von der einen großen Deadline, aber auf die hatte sie keinerlei Einfluss. Fast fand sie es amüsant, dass ausgerechnet sie, die so sehr daran gewöhnt war, Chefin zu sein, den Laden zu schmeißen, in diesem Fall rein gar nichts tun konnte. Sie griff nach ihrem Schwangerschaftshandbuch und klappte es irgendwo in der Mitte auf. »An diesem Punkt werden die Schmerzen zunehmen«, las sie. »Versuchen Sie, nicht in Panik zu geraten. Ihr Partner wird Sie stützen und aufmuntern.« Eilig klappte sie das Buch zu und nahm noch einen Schluck Kaffee. Bloß nicht dran denken.
Irgendwo in ihrem Hinterkopf wusste Maggie, dass sie dem Rat der Hebammen hätte folgen und wenigstens einen Geburtsvorbereitungskurs besuchen sollen. Mehrere freundliche, wohlmeinende Hebammen hatten ihr diverse Broschüren und Telefonnummern angedient und sie ermahnt, sich darum zu kümmern. Wussten diese Frauen denn nicht, wie viel sie zu tun hatte? Waren sie sich denn nicht darüber im Klaren, dass es schon schwierig genug war, sich für die nötigen Untersuchungen von der Arbeit freizunehmen? Am Ende eines stressigen Tages war Giles und ihr ganz sicher nicht danach zumute, bei wildfremden Leuten auf Sitzsäcken zu hocken und sich über – offen gesagt – eher private Dinge zu unterhalten. Sie hatte ein Buch gekauft und ein Video halb angesehen. Wenn was Gruseliges kam, hatte sie weitergespult. Das musste reichen.
Entschlossen klemmte sie das Buch hinter den Brotkasten, wo es nicht zu sehen war, und schenkte sich noch eine Tasse Kaffee ein. In diesem Moment klingelte es an der Tür. Überrascht runzelte Maggie die Stirn, hievte sich von ihrem Stuhl hoch und schlurfte durch die Diele zur Haustür. Draußen auf der Stufe stand ihre Schwiegermutter in einer wattierten Jacke mit gestreifter Bluse und einem blauen Cordrock, der ihr bis zu den Knien reichte.
»Hallo, Maggie!«, sagte sie. »Ich bin doch nicht zu früh dran, oder?«
»Nein!«, sagte Maggie halb lachend. »Ganz und gar nicht. Giles sagte schon, dass du vielleicht vorbeikommen wolltest.« Sie beugte sich vor und gab Paddy unbeholfen einen Kuss auf die Wange, wobei sie auf der Stufe fast ins Wanken kam.
Obwohl sie schon seit vier Jahren mit Giles verheiratet war, hatte sie doch immer noch nicht das Gefühl, ihre Schwiegermutter besonders gut zu kennen. Kein einziges Mal hatten sie sich bisher mal hingesetzt und geplaudert – vor allem weil Paddy sich nie hinzusetzen schien. Sie war drahtig, tatkräftig und ständig auf dem Sprung. Wenn sie nicht gerade kochte oder im Garten herumwerkelte, kutschierte sie jemanden zum Bahnhof oder stellte eine Ausstellung zusammen. Fünfundzwanzig Jahre lang hatte sie die örtliche Gruppe der Pfadfinderinnen geleitet; sie sang im Kirchenchor und hatte alle Kleider für Maggies Brautjungfern genäht. Jetzt lächelte sie und reichte Maggie eine Keksdose.
»Ein paar Scones«, sagte sie. »Die einen mit Rosinen, die anderen mit Käse.«
»Ach Paddy!«, sagte Maggie gerührt. »Das wäre doch nicht nötig gewesen.«
»So was ist doch schnell gemacht«, sagte Paddy. »Ich gebe dir das Rezept, wenn du willst. Die sind in null Komma nichts gezaubert. Giles mochte sie immer gern.«
»Stimmt«, sagte Maggie und erinnerte sich an ihren katastrophalen Versuch, Giles einen Geburtstagskuchen zu backen. »Gute Idee!«
»Und ich habe dir jemanden
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