Cocktails fuer drei
sanftmütigen, älteren Mann namens Kenneth kennen, und der stellte nun einen schützenden Puffer dar. Er war immer da, wenn Candice zu Besuch kam, um sicherzustellen, dass das Gespräch nie über Höflichkeiten und Belanglosigkeiten hinausging. Irgendwann hatte Candice den Versuch aufgegeben, ihre Mutter mit der Vergangenheit zu konfrontieren. Sie kam zu dem Schluss, dass es keinen Sinn hatte. Wenigstens war Diana in ihrem Leben noch etwas Glück beschieden. Aber sie besuchte ihre Mutter kaum noch. Wenn sie daran dachte, wie verlogen ihr Verhältnis war, wurde Candice ganz übel.
Das alles brachte mit sich, dass sie die gesamte Last der Erinnerungen allein zu schultern hatte. Den einfachen Weg ihrer Mutter gestand sie sich nicht zu. Sie wollte weder etwas vergessen noch etwas abstreiten. Und so blieb ihr nichts anderes übrig, als mit ihrer Schuld zu leben, ihrer ständigen, zornigen Scham. Seit jenen ersten, alptraumhaften Jahren war es inzwischen etwas besser geworden. Candice hatte gelernt, Schuld und Scham in eine dunkle Ecke ihres Hinterkopfes zu verbannen und ihr Leben zu leben. Doch war sie die Schuldgefühle nie ganz losgeworden.
Heute Abend jedoch hatte sie das Gefühl, als hätte sie die Kurve gekriegt. Vielleicht ließ sich ja ungeschehen machen, was ihr Vater angerichtet hatte. Zwar konnte sie nicht allen Leuten deren Geld zurückgeben, aber sie konnte Heather Trelawney etwas zurückzahlen – wenn nicht mit Geld, dann mit Hilfe und Freundschaft. Heather mit ganzer Kraft zu helfen sollte ihre ganz persönliche Buße werden.
Als sie in Highbury & Islington aus der U-Bahn stieg, fühlte sie sich beschwingt und hoffnungsfroh. Zügig ging sie die paar Straßen bis zu dem viktorianischen Haus, in dem sie seit zwei Jahren wohnte, schloss die Tür auf und stieg die Treppe in den ersten Stock zu ihrer Wohnung hinauf.
»Hey, Candice«, hörte sie eine Stimme hinter sich, als sie gerade nach ihrem Schlüssel griff. Sie drehte sich um. Es war Ed Armitage von gegenüber. Er stand in der Tür zu seiner Wohnung, in alten Jeans, mit einem Big Mac in der Hand. »Ich hab das Klebeband da, wenn du es wiederhaben willst.«
»Oh«, sagte Candice. »Danke.«
»Einen Moment.« Er verschwand in seiner Wohnung, und Candice lehnte sich an ihre Tür und wartete. Sie wollte nicht aufmachen, damit er sich nicht auf einen Drink bei ihr einlud. Heute Abend war sie nicht in der Stimmung für Ed.
Ed hatte schon dort gewohnt, als Candice einzog. Er war Anwalt bei einer großen Firma in der City, verdiente unanständig viel Geld und arbeitete unanständig viel. Oft genug stand um sechs Uhr morgens schon ein Taxi vor der Tür und brachte ihn erst nach Mitternacht wieder nach Hause. Manchmal kam er gar nicht nach Hause, sondern schlief nur ein paar Stunden auf einer Pritsche im Büro und machte dann gleich weiter. Bei dem bloßen Gedanken daran kam Candice die Galle hoch. Es war die reine Gier, die ihn dazu trieb, so hart zu arbeiten, dachte sie. Die reine Gier.
»Hier ist es«, sagte Ed, als er wieder auftauchte. Er reichte ihr die Rolle mit dem Band und biss von seinem Big Mac ab. »Möchtest du?«
»Nein danke«, sagte Candice höflich.
»Nicht gesund genug?«, sagte Ed und lehnte sich ans Geländer. Seine dunklen Augen blitzten sie an, als amüsierte er sich über seinen eigenen Scherz. »Was isst du denn? Quiche?« Er nahm noch einen Bissen von seinem Hamburger. »Isst du Quiche, Candice?«
»Ja«, sagte Candice ungeduldig. »Quiche würde ich wohl essen.« Wieso konnte Ed nicht höflichen Smalltalk treiben wie alle anderen auch?, dachte sie. Wieso musste er sie immer mit diesen blitzenden Augen ansehen, die eine Antwort erwarteten, als würde sie gleich etwas Faszinierendes enthüllen? Es war unmöglich, entspannt zu bleiben, wenn man mit ihm sprach. Nicht die geringste Bemerkung blieb unkommentiert.
»Quiche ist ein echter Cholesterinbomber. Dann lieber so was hier.« Er deutete auf seinen Burger, und ein schleimiges Salatblatt fiel auf den Boden. Zu Candice’ Entsetzen bückte er sich, hob es auf und steckte es in den Mund.
»Siehst du?«, sagte er, als er aufstand. »Salat.«
Candice rollte mit den Augen. Ed tat ihr im Grunde leid. Außerhalb des Büros hatte er gar kein Leben. Keine Freunde, keine Freundin, nicht mal Möbel. Aus Gründen der Nachbarschaftspflege war sie einmal auf einen Drink in seiner Wohnung gewesen und hatte festgestellt, dass Ed nur einen uralten Ledersessel, einen Breitwandfernseher und einen
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