Cocktails fuer drei
Versprechen hatte sie gehalten.
Jetzt jedoch brach sie es. Jetzt war es ihr scheißegal, wer sie sah. Jetzt wollte sie gesehen werden. Sie suchte in ihrer Tasche nach den Zigaretten und holte ihr Feuerzeug hervor. Ironie des Schicksals war nun jedoch, dass es jetzt – Jahre später – völlig egal war. Die Fenster waren dunkel, das Haus stand leer. Cynthia wohnte gar nicht mehr in dem verfluchten Gemäuer. Sie war ins Landhaus umgezogen und kam nur noch her, wenn bei Harrods Ausverkauf war. Sebastian ritt auf seinen kleinen Ponys, und alle waren glücklich. Das war das Leben, welches Ralph ihr vorzog.
Roxanne sog den Rauch der Zigarette tief in ihre Lunge und erschauerte, als sie ihn wieder ausblies. Sie wollte nicht mehr weinen. Sie hatte ihr Make-up schon oft genug verschmiert. Die letzten beiden Wochen hatte sie zu Hause gesessen, Wodka getrunken, tagtäglich dieselben Leggins getragen und aus dem Fenster gestarrt, manchmal weinend, manchmal zitternd, manchmal schweigend. Sie hatte den Anrufbeantworter angestellt und zugehört, wie sich die Nachrichten sammelten wie tote Fliegen – dumme, bedeutungslose Nachrichten von Leuten, die sie nicht interessierten. Eine – von Justin – hatte sie zu Ralphs Abschiedsparty eingeladen, und der Schmerz darüber durchzuckte sie wie ein Elektroschock. Ralph machte es wirklich wahr, dachte sie, und wieder kamen ihr die Tränen. Er machte es wirklich und wahrhaftig wahr.
Candice hatte zahllose Nachrichten hinterlassen, ebenso wie Maggie, und fast hatte sie sich versucht gefühlt zurückzurufen. Von allen Menschen waren das die beiden einzigen, mit denen sie sprechen wollte. Einmal hatte sie sogar den Hörer abgenommen und angefangen, Candice’ Nummer zu wählen. Doch dann hatte sie innegehalten, bebend vor Entsetzen, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte, wie sie anfangen sollte. Wie sie den Schwall aufhalten wollte, wenn sie erst mal angefangen hatte. Das Geheimnis war zu groß. Leichter – viel leichter – war es, nichts zu sagen. Darin hatte sie schließlich sechs Jahre Erfahrung.
Die beiden waren natürlich davon ausgegangen, dass sie auf Reisen war. »Oder vielleicht bist du ja bei deinem Mr Verheiratet«, hatte Maggie bei einer ihrer Nachrichten gesagt, was Roxanne halb zum Lachen, halb zum Weinen brachte. Die gute Maggie. Wenn sie wüsste. »Aber wir sehen uns am Ersten«, hatte Maggie dann unsicher hinzugefügt. »Du kommst doch, oder?«
Roxanne sah auf ihre Uhr. Es war der Erste des Monats. Es war sechs Uhr. In einer halben Stunde würden sie da sein. Die beiden Gesichter, die ihr in diesem Moment die liebsten auf der Welt waren. Sie drückte ihre Zigarette aus, stand auf und sah sich Ralph Allsopps Haus noch ein letztes Mal an.
»Arschloch«, sagte sie laut. »Du kannst mich mal!« Dann wandte sie sich ab und ging, wobei ihre hohen Absätze laut auf dem feuchten Gehweg klackerten.
Ralph Allsopp blickte von seinem Sessel auf und sah aus dem Fenster. Draußen verdunkelte sich der Himmel, und die Straßenlaternen auf dem Platz gingen an. Er streckte die Hand nach einer Lampe aus und knipste sie an, was den dunklen Raum augenblicklich erhellte.
»Stimmt irgendwas nicht?«, fragte Neil Cooper und blickte von seinen Unterlagen auf.
»Nein«, sagte Ralph. »Ich dachte nur, ich hätte was gehört. Hab mich wohl getäuscht.« Er lächelte. »Fahren Sie fort.«
»Gern«, sagte Neil Cooper. Er war ein junger Mann mit korrektem Haarschnitt und etwas nervösem Wesen. »Nun, wie ich bereits erklärt habe, halte ich es in diesem Fall für die einfachste Lösung, wenn Sie einen kurzen Testamentsnachtrag abfassen.«
»Verstehe«, sagte Ralph. Er starrte die Fensterscheiben an, nass vom Londoner Regen. Testamente, dachte er, waren wie das Familienleben selbst. Sie fingen klein und einfach an, dann wuchsen sie im Laufe der Jahre mit der Ehe und den Kindern, wurden komplexer durch Untreue, durch angehäuften Reichtum, durch geteilte Loyalität. Sein Letzter Wille hatte mittlerweile den Umfang eines kleinen Buches. Eine ganz normale Familiengeschichte.
Doch sein Leben war mehr als eine ganz normale Familiengeschichte gewesen.
»Eine Romanze«, sagte er laut.
»Verzeihung?«, sagte Neil Cooper.
»Nichts«, sagte Ralph und schüttelte den Kopf. »Ein Nachtrag. Ja. Und kann ich das hier und jetzt aufsetzen?«
»Selbstverständlich«, sagte der Anwalt und klickte erwartungsvoll mit seinem Kugelschreiber. »Wenn Sie mir zuerst den Namen des Begünstigten nennen
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