Coco - Ausbildung zur 0
beeilte sich, den Gurt anzulegen. Für einen Moment musste Xavier den Wagen an der Straße anhalten, damit er sich in den fließenden Verkehr einordnen konnte. In diesem Augenblick trat Baptiste aus der Vordertür des Hauses auf den Gehweg. Seine Nase blutete, und er warf einen verächtlichen Blick auf Coco. Bei diesem Anblick rutschte ihr das Herz bis in die Hose. Was war da oben passiert? Xavier lachte verächtlich auf und gab so heftig Gas, dass Coco auf ihrem Sitz durchgerüttelt wurde.
Er wählte den Boulevard Montmartre, der bis zum inneren Ring mehrfach den Namen wechselte, um dann auf den äußeren Pariser Ring zu fahren. Erst dort erlaubte Xavier sich zu entspannen. Während er auf die Überholspur wechselte, veränderte er seine Sitzposition. Was auch immer in der Wohnung geschehen war, jetzt schien er sicher zu sein, es hinter sich gelassen zu haben. Auch seine skeptischen Blicke in den Rückspiegel, die Coco während der rasanten Fahrt durch die Stadt aufgefallen waren, ließen jetzt auf der Autobahn nach.
Die Fahrt verlief schweigend. Xavier starrte auf die Straße und Coco auf ihrer Seite zum Fenster hinaus. Sie verfolgte jeden einzelnen Kilometer mit Herzklopfen. Nach ein paar Minuten konnte Coco auch die ungefähre Richtung erahnen, denn vor knapp einer Woche war sie in dieselbe Richtung gefahren. Damals war es helllichter Tag gewesen. Heute sank bereits die Abendröte über die Vorstädte von Paris. Ob das so etwas wie ein Zeichen war? Coco war sicher nicht abergläubisch, aber die ganze Situation war so verworren, dass sie alles an sich riss, um sich sammeln zu können.
Xavier fuhr mit unverminderter Geschwindigkeit und schien immer noch nicht gewillt, mit ihr zu reden. So ergab sie sich in ihr Schicksal und ließ sich in den bequemen Sitz sinken. Die Sonne ging nun ganz unter und tauchte ihre Gesichter in gespenstische Farben, als sich Coco endlich entschloss, das Schweigen zu brechen.
„Es tut mir leid“, sagte sie leise und erschrak, weil Xavier zusammenzuckte. Er sah in ihr Gesicht, das von den Lichtern der Armaturen in ein unwirkliches Licht getaucht wurde, und richtete seinen Blick dann wieder auf die Straße. Er schüttelte den Kopf.
„Wir reden später“, antwortete er genauso leise, und Coco nickte. Xavier setzte den Blinker und fuhr von der Autobahn ab. Nun war sich Coco sicher, welche Richtung er einschlagen würde. Er fuhr die gleiche verschlungene Landstraße wie sie in der letzten Woche, mit dem Unterschied, dass diese heute in vollkommener Dunkelheit lag. Nur die Scheinwerfer des Wagens durchschnitten dieses Dunkel für ein paar Meter voraus. In der Geschwindigkeit, in welcher Xavier die engen Straßen entlangfuhr, brauchten sie allerdings nicht halb so lang wie Coco an diesem Nachmittag. Er nahm die letzte Biegung in unvermindertem Tempo, und das Hotel tauchte vor ihnen auf: Groß und mächtig, dunkel, denn nur wenige Fenster waren beleuchtet, vom Mondlicht in kaltes Licht getaucht, erschien es wie ein böser Moloch aus der Dunkelheit.
Sämtliche Erinnerungen, die Coco an ihr Wochenende hier hatte, prasselten mit aller Gewalt auf sie herein, als sie dieses Bild sah. Sie holte geräuschvoll Luft, und Xavier sah sie besorgt an. Sie schüttelte den Kopf und versuchte sich zu beruhigen. Ihre Lippen zitterten, ihre Hände waren kalt. Sie hatte Mist gebaut, verdammten, dummen, blödsinnigen Mist!
Was immer Xavier auch vorhatte: Der Ort, an dem er das tun wollte, verstärkte ihre Sorgen nur noch mehr. Xavier lenkte den Wagen in die Einfahrt, und ein Portier stürzte diensteifrig aus der Lobby heraus, um Coco die Tür zu öffnen.
„Guten Abend, Madame Mirabeau, Monsieur Ledoux, willkommen!“ Er nahm Xaviers Schlüssel und öffnete dann die Eingangstür. Xavier legte Coco eine Hand in den Rücken und führte sie in die Lobby. Vor der Rezeption blieb er stehen und wartete.
„Monsieur Ledoux, willkommen! Wir haben Ihre Räume bereits für Sie hergerichtet“, erklärte der Mann an der Rezeption und warf Coco ein Lächeln zu. „Madame Mirabeau, herzlich willkommen zurück!“
Mit diesen Worten hatte er Xavier den Schlüssel für die Suite überreicht und sich verabschiedet. Coco hatte die Szene wie durch Watte hinweg beobachtet. Sie war zu müde und gleichzeitig zu aufgewühlt, um sich darüber zu wundern, dass man Xavier hier kannte. Was wurde hier gespielt? Zeit, darüber nachzudenken, hatte sie nicht, denn Xavier führte sie zum Aufzug, und keine fünf Minuten später
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