Cocoon, Band 01
Regals und spähe um die Ecke. Niemand. Langsam schiebe ich mich am Rand entlang auf die Öffnung zu, die ich zwischen dem Magazin und Loricels Atelier erzeugt habe.
Wieder öffnet sich die Tür. Ich warte und bete, dass der Kerl geht, doch stattdessen höre ich, wie ein weiterer Mann etwas ruft und der andere Richtung Tür läuft. Ich drücke mich an ein Regal und wage nicht mehr, mich zu bewegen. Zwei Stimmen hallen durch den Raum, doch ich achte nicht darauf, was sie sagen. Jetzt nähern sich ihre Schritte meinem Versteck. Ich husche zur nächsten Regalreihe und warte mit angehaltenem Atem. Dabei versuche ich abzuschätzen, wie nah sie mir sind. Dann eile ich zum nächsten Regal. Und weiter zum nächsten.
Gerade gelange ich bei dem Spalt an, als einer der Männer etwas ruft. Fest umklammere ich die Karte in meiner Tasche. Ich habe vergessen, das Gehäuse zu schließen. Das Licht im Magazin wird heller, und ich werfe mich durch den Riss. Sie suchen nach mir.
Ich ziehe die Magazinfäden aus dem Gewebe von Loricels Atelier und drücke sie an meine Brust. Sobald ich die Fäden wieder an ihren Ort geflochten und das Magazin im Geflecht des Geländes wiederhergestellt habe, erwacht der Webstuhl surrend zum Leben und entlässt das Webstück. Ich lasse mich auf den Stuhl fallen und warte auf die nahenden Wachleute. Außer Loricel weiß niemand, dass ich zu so etwas in der Lage bin. Aber wie lange wird es dauern, bis jemand Verdacht schöpft? Und selbst wenn sie mich nicht suchen, werden sie zuallererst hier nachfragen, wer dafür verantwortlich sein könnte.
Doch da niemand kommt, beruhige ich mich allmählich. Erst jetzt bemerke ich, dass Loricel auf ihrem Sofa liegt und eine flauschige, rotblonde Katze streichelt. Atemlos will ich ihren Namen sagen, bringe vor Überraschung und schlechtem Gewissen jedoch bloß ein Ächzen heraus.
»Geh.«
Sie schaut mich nicht an.
»Loricel, ich … «
»Lass mich allein, Adelice. Ich muss nachdenken.«
Eben will ich sie fragen, was sie damit meint, doch sie kommt mir mit der Antwort zuvor. »Ich muss mir überlegen, wie ich das vertusche.«
»Es tut mir leid«, sage ich und hebe den Blick vom Boden, um ihr in die Augen zu schauen.
Doch sie betrachtet weiterhin nur ihre Katze und streichelt sie. Etwas später fragt sie: »Hast du gefunden, wonach du gesucht hast?«
Die kleine Plastikkarte fühlt sich wie ein Stück Blei in meiner Tasche an, doch ich schüttle den Kopf.
»Du bringst deine Schwester in Gefahr, indem du Aufmerksamkeit auf sie ziehst«, warnt sie mich und sieht mich zum ersten Mal an.
»Ich muss herausfinden, wo sie ist«, sage ich.
»Cormac hat dir deine Schwester gezeigt, lebend und bei guter Gesundheit«, sagt Loricel. »Am besten belässt du es dabei, wenn du nicht … «
»Ich will nicht zu ihr.« Noch nicht.
»Wenn er sie als Bedrohung wahrnimmt, wird Cormac sie beseitigen.« Loricel schiebt die Katze von ihrem Schoß und steht auf.
Ich brauche einen Moment, um zu bemerken, dass sie die Koordinaten liest, die ich in die Komkonsole eingegeben habe. »Ein raffinierter Plan«, lobt sie. »Aber ich frage mich, woher du die Koordinaten genommen hast, um das Magazin im Rahmen aufzurufen.«
Ich beiße mir auf die Lippe und schlinge den Arm um meine Hüfte in der Hoffnung, dass sie die Umrisse meiner Digiakte nicht ausmachen kann.
»Ich werde dich nicht verraten, Adelice«, sagt sie und wendet sich zur Wand. »Ich habe dir gesagt, dass dies deine Entscheidung ist, und das habe ich auch so gemeint. Aber du spielst ein gefährliches Spiel.«
Mein Mund wird trocken. »Ich spiele kein Spiel«, sage ich.
»Trotzdem, sei vorsichtiger.«
Da sie weiter nichts sagt, verlasse ich ihr Atelier, den Arm noch immer an den Leib gedrückt, um meine Geheimnisse zu hüten: die Wahrheit über Josts Tochter und einen kleinen Ausschnitt des Gewebes vom Atelierbildschirm.
ZWEIUNDZWANZIG
E s gelingt mir, mich an dem Wachmann vorbeizuschleichen, der ein paar Meter neben der Tür zu den oberen Ateliers mit Rauchen beschäftigt ist. Doch ich kehre nicht in mein Quartier zurück. Sobald ich außer Sichtweite bin, wechsle ich in eine selbstbewusste Gangart, lasse die Arme baumeln und straffe den Rücken. Ich werde überwacht und möchte keinen Verdacht erregen. Mit bebenden Fingern ziehe ich das Stück vom Bildschirm an Loricels Wand aus meiner Tasche und verberge es in der Handfläche. Es ist nur ein paar Zentimeter breit und federleicht, doch gibt es einen Teil der
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