Cocoon, Band 01
hochgeladen wird, und erkenne sofort den Moment, in dem der Vorgang beendet ist. Seine Stirn entspannt sich und sein Mund klappt auf, aber er sagt nichts. Stattdessen sinkt er zu Boden und starrt auf den kleinen Bildschirm.
»Sie lebt«, sage ich sanft, weil er selbst keine Worte findet.
Meistens sieht Jost wie ein Junge aus. Selbst wenn er sich nicht rasiert hat oder in einem maßgeschneiderten Anzug steckt, hat er einen sanften Gesichtsausdruck und lächelt viel. Hier jedoch, im grellen Licht seiner Taschenlampe, wirkt sein Kinn kantig, und als er die Augen zusammenkneift, um in der Digiakte zu lesen, bilden sich leichte Falten. Kurz darauf, als sich ein Lächeln auf sein Gesicht stiehlt, ist es nicht das jungenhafte Grinsen, das ich liebe, sondern etwas, das ganz tief aus seiner Seele kommt. Jetzt sieht er wie ein Mann aus.
»Du hast sie gefunden«, flüstert er, und als er aufblickt, erreicht dieses unbegreifliche Lächeln auch mich.
»Sie ist in Sicherheit.« Noch, füge ich in Gedanken hinzu.
»Sie lebt«, haucht er, als würde es wahrer, wenn er die Worte wiederholt. »Meine Tochter lebt.«
»Auch Amie ist dort irgendwo«, sage ich.
»Können wir noch einmal hineingelangen?«, fragt er, ohne den Blick von dem Bild zu lösen.
»Ich glaube schon«, sage ich. »Aber dazu brauche ich deine Hilfe.«
»Was immer du willst«, verspricht er.
»Jost«, sage ich und knie neben ihm nieder. »Ich weiß nicht, ob wir zu ihr gelangen können.«
Er hält mein Gesicht und küsst mich. Von seinen Lippen pulsiert neue Kraft. Bei der Berührung durchläuft ein Feuer meinen ganzen Körper, als würde er seine neue Lebensfreude auf mich übertragen. Erst jetzt merke ich, wie gebrochen er durch seinen Verlust war – bis jetzt.
»Wir werden schon einen Weg finden«, sagt er. »Wir werden beide finden.«
Ich nicke und nehme ihm sacht die Digiakte aus der Hand. Sofort regt er sich wieder und verlangt, dass ich ihm meinen Plan verrate. Ich erkläre ihm, dass ich seine Hilfe brauche, um noch einmal in die oberen Ateliers zu gelangen, denn von dort kann ich ins Magazin einbrechen und weitere Informationen sammeln.
»Und dann?«, fragt er.
»Dann überlegen wir uns, was wir als Nächstes tun«, sage ich. Der Plan ist haarsträubend, aber einen anderen haben wir nicht.
Jost gibt vor, mich durch die Anlage zu führen. Dass der Chefbutler eine Webjungfer begleitet, ist vollkommen normal, doch da Cormac sein besonderes Augenmerk auf mich gerichtet hat, bildet sich auf meiner Stirn und in den Handflächen ein dünner Schweißfilm. Angestrengt versuche ich, gelangweilt zu wirken, doch mein Puls rast und meine Wangen glühen.
Als wir die Sicherheitstür zu den oberen Ateliers erreichen, mustert uns der Wachmann. »Hat er eine Erlaubnis?«
»Cormac hat mir befohlen, mich nicht ohne Begleitung zu bewegen.« Ich konzentriere mich darauf, mit fester Stimme zu sprechen.
»Ich frage besser mal nach … «
»Komm schon, Mann«, sagt Jost mit einem Ächzen und rückt etwas von mir ab. »Ich will endlich ins Bett. Je eher wir Ihre Majestät nach oben komplimentieren, desto besser.«
Der Wachmann grinst. Offenbar hat er öfter Nachtschicht.
»Also gut, sie hat ja eine Erlaubnis, also bleib lieber dicht bei ihr«, rät er Jost.
Jost nickt und verdreht wie zum Zeichen stiller Kameradschaft die Augen.
Kaum sind wir durch die Tür, gebe ich ihm einen Stoß mit dem Ellbogen. »Du kannst jederzeit zu Bett gehen.«
»Das ist die beste Methode, um hier nicht behelligt zu werden«, sagt er mit einem Zwinkern. »Man muss immer nur so tun, als wäre man von einer Webjungfer genervt.«
Ich mime die Beleidigte. Er ergreift meine Hand.
»Du bist die am wenigsten nervende Webjungfer, die mir jemals begegnet ist«, sagt er mit gespieltem Ernst.
»Nimm dich in Acht, Josten Bell«, warne ich ihn.
Er folgt mir die Wendeltreppe hinauf, doch da er immer wieder über die Schulter zurückblickt, stolpert er beinahe in mich hinein.
»Wir kommen nie an, wenn du dich nicht endlich beeilst«, zische ich.
»Verzeiht, Eure Majestät«, grinst er.
Als wir oben ankommen, schlüpfe ich in das Atelier. Halb erwarte ich, Loricel dort sitzen zu sehen, doch es ist leer. Ich winke Jost heran, gehe zum Webstuhl und hole die Digiakte hervor.
»Was machst du?«, fragt er, während er mir über die Schulter sieht.
»Ich habe ein paar neue Tricks gelernt«, sage ich.
Der Gewebeausschnitt des Geländes fließt auf den Rahmen, und ich wende mich Jost zu, um seine
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