Cocoon, Band 01
Riya«, wiederholt Amie die Worte der Frau mit einem traurigen Unterton. Sie selbst hört nichts von dieser Trauer, nur ich – das verrückte Mädchen, das vor ihr steht und ihr Unsinn erzählt.
Eine Hand berührt mich sanft an der Schulter.
»Komm«, sagt Jost schroff. »Wir müssen gehen.«
Durch den Tränenschleier vor meinen Augen kann ich ihn kaum erkennen. Er bringt mich zu den wartenden Wachleuten zurück. Cormac ist irgendwo unterwegs, um sich zu verabschieden, aber er hat meinen kleinen Auftritt sicher mitbekommen.
»Alles klar bei dir?«, fragt Jost.
»Alles klar«, lüge ich. »Nur eine Verwechslung.«
Man sieht ihm an, dass er mir nicht glaubt. »Ich muss nach Botschafter Patton sehen. Wir gehen in ein paar Minuten.«
Ich möchte mich von seinen Worten beruhigen lassen, aber es gelingt mir nicht. Deswegen setze ich mich schon mal in den Wagen, um dort auf Cormac zu warten. Gerade will ich die Augen schließen, um diesen furchtbaren Abend hinter mir zu lassen, als Erik sich neben mich setzt.
»Ich muss es kurz machen«, sagt er.
»Klar doch«, sage ich überrumpelt.
»Cormac schickt mich allein ins Hotel zurück.«
»Du kommst nicht mit uns?«, frage ich besorgt.
»Nein.« Erik schaut mir in die Augen. »Cormac ist mächtig, und es ist dumm von mir, dir das zu raten, aber: Wenn er etwas versucht, dann tritt ihm in die Eier.«
Ich reiße die Augen auf und muss mir den Mund zuhalten, um nicht loszulachen. »Ganz genau«, pruste ich. Ich kann kaum an mich halten. Auf Erik ist wirklich Verlass, wenn es darum geht, mich in einem Moment wie diesem zum Lachen zu bringen.
»Hier.« Er drückt mir eine dünne Mikroplatte in die Hand.
»Was ist das?«, frage ich, während ich die Platte behutsam betaste und in meiner Handtasche verschwinden lasse.
»Schließ sie an deine Digiakte an, dann wirst du mit mir verbunden«, erklärt er. »Sag Bescheid, wenn ihr zurück seid.«
Er sieht mich eindringlich an, und ich bekomme plötzlich einen Kloß im Hals.
»Denkst du wirklich … « Ich bringe den Satz nicht zu Ende.
»Ich weiß einfach nicht, was ich von Cormac halten soll«, sagt Erik. »Das ist ja das Problem.«
Ehe ich weiß, was ich tue, habe ich ihn schon bei der Hand genommen. Er drückt sie aufmunternd, lässt dann schnell wieder los und schlüpft aus dem Auto. Wenn ich jetzt losginge, könnte ich ihn gerade noch einholen. Aber damit würde ich ihn wohl nur in Schwierigkeiten bringen. Andererseits macht mir die Alternative – mit Cormac allein ins Hotel zu fahren – schreckliche Angst.
»Bist du bereit?«, fragt Cormac und setzt sich neben mich.
»Na klar.« Ich schlucke meine Angst herunter.
»Was wollte Erik?«
Ich zögre einen Moment. »Er wollte den Zeitplan für morgen besprechen, weil er jetzt schon ins Hotel zurückmuss.«
Cormac schaut mich nachdenklich an. »Er behält jede Kleinigkeit im Blick. Dieser Erik wird schnell aufsteigen und den Konvent hinter sich lassen. Ich möchte dir etwas zeigen.« Cormac bleibt auf Abstand zu mir, und ich kann es ihm nicht verdenken. Wahrscheinlich weiß er, dass sein Plan aufgegangen ist.
Den Vorfall von vorhin erwähne ich nicht, und auch er spricht mich nicht darauf an. Die Botschaft war auch so deutlich genug. Die Fahrt dauert nur wenige Minuten, aber in der Dunkelheit kann man durch die geschwärzten Fenster kaum etwas erkennen. Als wir halten, öffnet Cormac seine eigene Tür und geht dann um den Wagen herum, um meine zu öffnen. Der Fahrer bleibt sitzen.
Als Cormac mir beim Aussteigen hilft, sehe ich den Nachthimmel voll glitzernder Sterne über mir. Wir sind nur wenige Meter von einem Abhang entfernt ausgestiegen. In der Dunkelheit kann ich gerade so das Tal ausmachen, das Hunderte von Metern unter uns liegt. An den Rändern blinken die Lichter kleiner, entfernter Ortschaften.
Cormac lässt meine Hand los und tritt an die Kante. Er breitet die Arme über dem Tal aus und ruft mir zu: »Du brauchst nur zuzugreifen, Adelice.«
Zitternd vor Kälte verschränke ich die Arme.
Auf der Rückfahrt setzt sich Cormac schweigend schräg gegenüber von mir hin. Habe ich etwa die falschen Schlüsse daraus gezogen, wie er mir den Arm um die Taille gelegt hat? Vielleicht wollte er mir ja nur die tolle Aussicht zeigen. Nach all dem Theater heute Nacht weiß ich wirklich nicht mehr, was ich denken soll.
Vor lauter unterdrückter Trauer und Schuld kann ich die Augen kaum noch offen halten. Ich bin so müde. Als ich gerade einnicke, weckt mich
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