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Cocoon, Band 01

Cocoon, Band 01

Titel: Cocoon, Band 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Albin
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Prioritäten.«
    »Es ist meine Schuld«, gestehe ich. »Ich habe es ihm nicht leicht gemacht, mir etwas beizubringen.«
    »Das ist bei Stickmeisterinnen niemals der Fall«, murmelt sie.
    »Oh, ich bin keine … «
    »Du bist eine Stickmeisterin. Das bist du schon seit deinem achten Lebensjahr.«
    Mir klappt die Kinnlade runter, und ich würde den Mund nicht mal wieder zubekommen, wenn es um mein Leben ginge. Ich war acht, als ich zum ersten Mal per Zufall die Zeit einfing, während ich im Hof spielte. Mama meinte, dass ich die Fasern wieder glätten soll, und beim Abendessen rückte sie dicht an meinen Vater heran und tuschelte mit ihm, wie Eltern nur tuscheln, wenn sie sich Sorgen machen. Das sollte schon bald zu einer vertrauten Szene beim Essen werden.
    »Es gehört zu meinen Aufgaben, Stickmeisterinnen zu finden und auszubilden. Dich habe ich an dem Tag gefunden, an dem du deinen ersten Ausrutscher hattest.«
    »Dann hast du es die ganze Zeit gewusst?«, frage ich, doch meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern.
    »Ich mache mir schon länger Sorgen wegen meines Alters. Hier oben bin ich um einiges fitter«, erklärt sie mir, während sie sich an den Kopf tippt, »als irgendeine andere in diesem elenden Konvent, aber mein Körper lässt nach. Ich muss eine Nachfolgerin finden.«
    Ich erinnere mich an die Nächte, in denen ich geübt habe, um bei der Prüfung durchzufallen, daran, wie ich in den Gang unter unserem Haus gekrochen bin, an den Leichensack im Esszimmer. Das alles war zwecklos, denn sie hätten mich so oder so geholt.
    »Ich weiß schon lange, dass du es bist«, fährt sie in traurigem Tonfall fort. »Doch als deine Eltern versucht haben, dir beizubringen, wie du bei der Prüfung durchfallen kannst, hoffte ich, sie würden damit Erfolg haben.«
    »Warum?« Seltsamerweise fühle ich mich durch ihre Worte verletzt. Sie hat mich jahrelang beobachtet und trotzdem nicht eingegriffen, als in der Nacht meiner Einberufung alles schiefging.
    »Es tut mir leid, was mit deinen Eltern und deiner Schwester geschehen ist. Ich konnte nichts tun, um sie zu retten.« Loricel hält kurz inne. »Ich musste dir jede Gelegenheit geben, zu entkommen, und das bedeutete auch, sie zu opfern.«
    Mir schnürt sich die Kehle zu. Verzweifelt versuche ich, meine Wut nicht auf die alte Frau zu richten, die neben mir sitzt.
    »Ich muss dir Dinge beibringen, von denen die Gilde nichts erfahren darf, doch alles entwickelt sich schneller, als ich erwartet habe«, gesteht sie seufzend ein.
    Wenn ich den Mund öffne, um sie zu fragen, was sie damit meint, muss ich weinen. Deshalb starre ich bloß ins Leere. Loricel erhebt sich, geht zur Wand und gibt mit erstaunlicher Geschwindigkeit einen Code in die Komkonsole ein. Unmittelbar darauf beginnt sich der Webstuhl in Gang zu setzen. Die Schäfte schweben auf und ab, schimmernde Lichtfäden schlängeln sich hindurch und erschaffen ein Muster. Die Fäden gleiten an die Oberfläche des Rahmens und bilden einen Teppich aus Licht.
    »Das ist ein einfaches Stück.« Sie fährt mit dem Finger über das Gewebe vor uns. »Mir wurde versichert, dass dies eine Patientin im Endstadium ist, die zu Hause gepflegt wird. Ihre Tochter hat uns diese Anfrage geschickt.«
    Herausreißen. Sie ist hier, um zu vollenden, was Maela begonnen hat. Und welche Tochter reicht schon ein Entsorgungsgesuch ein? Ich versuche, mir vorzustellen, wie ich ein Antragsformular ausfülle, um meine Mutter durch die Gilde entfernen zu lassen. Obwohl ich zurückweichen möchte, gehe ich näher heran, um das Stück zu begutachten.
    Es ist einfach gewebt, mit langen, dicken Fäden. Fast kann ich es sehen, wenn ich das Gewebe berühre: Ein kleines Haus auf dem Land, das nicht von Webjungfernhand verziert wurde, sondern sich ganz natürlich entwickeln und erblühen konnte. Anders als bei dem letzten Stück, das man mir zum Auftrennen gegeben hat und das von Tausenden winzigen und einzigartigen Fäden durchwoben war, sind die Fäden hier grob und dick und zu einem eher bescheidenen Stück verflochten. In solch einem strengen Gefüge ist der schwache Faden schnell gefunden, doch trotz seiner Zartheit ist er lang und mit Gold- und Kupfertönen gefärbt. Er ist abgenutzt, aber nicht dünn, und selbst jetzt, da er allmählich verfällt, strahlt er noch eine gewisse Lebendigkeit aus. Sollte Loricel glauben, das hier würde mir leichter fallen, als einen von tausend Fäden in einem komplizierten Gewebe herauszureißen, dann irrt sie sich.

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