Codename Azteke
ein wenig oberflächlich gehalten. Man konnte mit ihm bestimmt viel Spaß haben, und er war unbestreitbar ein großzügiger und treuer Freund, aber vielleicht ein wenig leichtfertig, sogar absonderlich, ein Produkt seiner Klasse, ein Relikt einer vergangenen Ära.
Sie und Jack hatten sich gelegentlich gefragt, ob Ramiro vielleicht schwul war und die kurzen Beziehungen zum anderen Geschlecht lediglich der Tarnung dienten; allerdings gab es auch keine festen männlichen Freunde in seinem Leben. Schließlich kamen sie zu dem Schluss, dass er wohl eher asexuell war: ein Mann, der sich selbst genügte.
Ramiro holte ein Handy aus der Hemdtasche und drückte auf zwei Tasten.
»Es klingelt schon«, sagte er lächelnd und reichte Mercedes das Telefon.
» Dígame .« Es war nicht Rosas Stimme am Telefon. Vielleicht ein Hausmädchen, vermutete Mercedes.
»Mrs Uribe, bitte.«
»Mrs Uribe ist nicht hier.« Die Stimme klang unerwartet angespannt. »Wer spricht da bitte?«
»Mercedes Vilanova. Wissen Sie, wann sie zurück sein wird?« Wieder hörte sie nur unheilvolles Schweigen.
»Einen Augenblick bitte«, sagte Mercedes und reichte das Telefon schnell an Ramiro weiter. »Sie ist nicht da, oder sie lässt sich vor mir verleugnen.«
»Ramiro de la Serna. Mit wem spreche ich bitte?«
»Ah, Don Ramiro!« Beim Klang der vertrauten Stimme atmete die Frau sichtlich erleichtert auf. Doch dann änderte sich ihr Tonfall. »Oh, Don Ramiro – La Señora geht es nicht gut. Sie haben sie ins Krankenhaus gebracht.«
»Isabel?« Ramiro erkannte die Stimme des Hausmädchens. »Ist Dr. Max da?«
»Er ist bei der Señora, Don Ramiro«, erklärte die Frau, offenbar den Tränen nahe. »Oh, es geht ihr gar nicht gut, Don Ramiro.«
»Wo haben sie sie hingebracht?«, fragte Ramiro. Mercedes sah ihn verwundert an, daher erklärte er: »Rosa. Sie ist wieder krank. Man hat sie ins Krankenhaus gebracht.« Dann sprang er plötzlich auf. »Ich muss sofort zu ihr!«
»Ich bringe dich hin …«
»Nein, nein, ich muss sofort hin! Ich nehme den Zug!«
»Ich fahre dich, Ramiro«, beharrte Mercedes, stand auf und nahm seinen Arm. »Ich möchte sie auch sehen.«
Mercedes erreichte Madrid noch vor Einbruch der Dunkelheit, indem sie alles aus ihrem Porsche herausholte und alle Geschwindigkeitsbeschränkungen ignorierte. Normalerweise hätte Ramiro protestiert, doch jetzt war er so in Gedanken versunken, dass er es gar nicht bemerkte.
Sie parkten neben dem modernen Anderson-Komplex und betraten die ruhige Empfangshalle des Krankenhauses.
»Mrs Uribe kann im Moment keine Besucher empfangen«, wurden sie von einer höflichen, aber bestimmten Krankenschwester aufgeklärt. »Möchten Sie sich setzen, während ich nachfrage? Gehören Sie zur Familie?«
»Ja. Ramiro de la Serna. Das ist Miss Vilanova, eine gute Freundin.«
Die Schwester ging zielstrebig los und verschwand in einem Gang nach links.
»Das ist eine Krebsklinik, nicht wahr?«, fragte Mercedes.
»Ich glaube schon«, antwortete Ramiro und sah sich um. Egal wie einladend und luxuriös solche Orte auch eingerichtet wurden, sie konnten doch eine gewisse schmerzliche Stimmung nicht verbergen.
»Hatte sie deswegen die Totaloperation? Du hast uns doch davon erzählt.«
Bevor Ramiro antworten konnte, kam aus der Richtung, in die die Krankenschwester verschwunden war, Máximo Uribe auf sie zu. Er sah erschöpft aus, und seine geröteten Augen deuteten darauf hin, dass er geweint hatte.
»Ramiro!«, begrüßte er den Cousin seiner Frau, als er ihn umarmte.
»Kennst du Mercedes?«, stellte Ramiro sie einander vor. Als sich ihre Blicke trafen, spürte Mercedes, dass Rosas Mann etwas über sie wusste.
»Es geht ihr gar nicht gut«, klagte Máximo. »Aber sie möchte dich sehen.« Er blickte dabei kurz Mercedes an, machte seinen Fauxpas jedoch gleich wieder gut, indem er Ramiro anlächelte und ihm bedeutete, vorauszugehen.
Rosa lag in einem schmalen Krankenhausbett auf dem
Rücken. Sie war schrecklich blass, doch selbst diese Blässe konnte ihrer Schönheit kaum etwas anhaben. Sie atmete langsam, mit geschlossenen Augen. Neben dem Bett stand ein Sauerstoffgerät, von dem ein Schlauch in ihre Nase führte, und aus zwei durchsichtigen Plastikbehältern an einem Haken führten Infusionsschläuche zu ihrer verbundenen linken Hand. Instrumente wie aus einem Raumschiff piepsten und zeichneten sinuskurvenartige Muster auf.
Max zog einen Stuhl neben Rosas Bett und bot Mercedes an, sich zu setzen.
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