Codename Azteke
in den letzten Jahren erstaunlich gewesen. Was man einst mit dem Schwert erobert und später durch das Schwert wieder verloren hatte, eroberte man sich mit dem Scheckbuch zurück. Telefónica, Ferrovial, Santander oder BBV waren mittlerweile in Südamerika ebenso bekannt wie auf der iberischen Halbinsel. Fluglinien, Versorgungsdienste, Energiekonzerne, Banken – die besten Trophäen wurden nacheinander errungen. Reconquista a là 20. Jahrhundert. Und Rosa Uribe war mittendrin. Und dabei war sie erst sechsunddreißig. Pinto war der Meinung, dass es sich lohnen würde, sie anzusprechen. Und es hatte sich gelohnt.
Sie hatte sich als äußerst scharfsinnige und zuverlässige Quelle erwiesen. Sie hatten eine gute Zusammenarbeit aufgebaut, und er war ihr direkter Einsatzleiter – das hatte sie zur Bedingung gemacht.
Jedes Mal, wenn sie eine Aufgabe bekam, erfüllte sie sie.
Sie konnte sich frei in Lateinamerika bewegen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen – spanische Botschaften und Handelskammern waren ihre Büros, und ihre deutliche Sichtbarkeit war ihre Tarnung.
Pinto hatte mit Rosa nur einmal bei einem Essen über das Moskauer Gold gesprochen, und es war keine Einleitung zu einer Operation gewesen. Sie hatte sich lediglich nach seiner Münzsammlung erkundigt, als sie sich an das Gespräch in Peru erinnert hatte, und Pinto hatte ihr schließlich erzählt, dass seiner Meinung nach in dem fehlenden Goldschatz der Republik die wahrscheinlich besten Stücke aus den Tresoren der Bank von Spanien enthalten waren.
»Ist das möglich?«, hatte sie damals mehr im Scherz als aus Interesse gefragt.
»Ich bin davon überzeugt«, hatte Pinto geantwortet.
»Aber wenn das wahr ist, dann muss doch jemand etwas darüber wissen«, hatte sie überlegt.
»Sie sind alle tot, Rosa. Alle bis auf einen.«
»Und wer ist das?«
»Jesús Florin.«
Rosa schwieg eine Weile, und Pinto ließ sie nachdenken.
»Natürlich, er war stark an der Republik beteiligt«, meinte sie.
»Haben Sie ihn getroffen?«
»Ja«, hatte sie geantwortet. »Bei einem Besuch in Havanna. Wir wurden einander vorgestellt, aber ich erinnere mich nicht daran, dass er viel zu sagen hatte.«
»Genau da liegt das Problem. Er ist nicht sehr gesprächig.«
Das war alles gewesen, was sie darüber gesagt hatten. Bis
zum Januar dieses Jahres. Rosa hatte Pinto um ein Treffen gebeten, um ihm eine Information zu geben, die für ihn vielleicht nützlich sein könnte. Ihr Cousin Ramiro hatte sich mit einer tollen Idee gebrüstet. Er hatte einen Freund, einen englischen Gastprofessor in Salamanca, aufgefordert, Veteranen aus dem Spanischen Bürgerkrieg anzuschreiben und sie um Interviews zu bitten. Für ein Buch, das er schreiben will, hatte sie erklärt.
»Es ist kaum zu glauben«, sagte sie, »aber er hat es geschafft, ein Interview mit dem Azteken zu bekommen.«
Zwei Wochen lang gruben Pintos Leute in Spanien und England alles aus, was sie über Jack Hadley finden konnten, aber ihre Suche förderte nichts Außergewöhnliches zutage. Pinto brauchte nur einen Hebel, einen Ansatzpunkt, den er zu seinem Vorteil nutzen konnte. Sie erfuhren, dass Hadley von seiner Frau getrennt lebte, zwei Kinder hatte und in Salamanca mit einer Spanierin zusammenwohnte. Auch sie ließ Pinto überprüfen: Ihre Familie war interessant, aber nichts, was für ihn im Moment von Nutzen war. Und die Zeit wurde langsam knapp.
Für Pinto war es wichtig, dass Hadley an Bord war, bevor er nach Kuba aufbrach. Und es musste eine solide Bindung sein. Er konnte nicht riskieren, dass Hadley – ein englischer Akademiker, also ein geradezu typischer Verdächtiger, um Himmels willen – dem schlauen Azteken mehr Sympathie entgegenbrachte als der Sache Spaniens. Andererseits war er Offizier in der Armee gewesen. Aber warum hatte er den Dienst quittiert? Darauf fand er keine Antwort.
Bezahlung war eine Möglichkeit, doch Rosa hatte einen wesentlich besseren Vorschlag gemacht, und Pinto musste zugeben, dass er durchführbar war, auch wenn es ihn überraschte,
so etwas von ihr zu hören. Zuerst hatte er einen versierten Agenten einsetzen wollen, aber er sah ein, dass Rosa recht hatte: Sie war in der idealen Position, die Sache selbst durchzuführen.
Pinto hatte ihren scheinbar paradoxen Charakter bereits bemerkt. Rosa konnte sehr rücksichtsvoll und mitfühlend sein – Eigenschaften, die aus ihren Berichten und Handlungen sprachen. Aber wenn sie eine ihrer Meinung nach gerechte Sache verfolgte, konnte sie
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