Codename Hélène
einen sicheren Platz in der Nähe von Berlin anzubieten, sie aber doch aufpassen sollten, dabei nicht seinen russischen Freunden ins Gehege zu kommen – »but be sure you do not clash with our Russian friends«. Die Antwort, wiederum gezeichnet mit Gestapo: »unfortunately certains of the agents had to be shot« – unglücklicherweise hätten einige Agenten erschossen werden müssen –,aber andere hätten eingewilligt, künftig das zu tun, was ihnen die Deutschen befehlen würden.
Für makabre Psychospiele dieser Art haben die in den Wäldern keine Zeit. Sie brauchen echten und direkten Funkkontakt nach London. Und zwar möglichst schnell. Denis Rake erinnert sich. Bei einem zufälligen Treffen in Châteauroux, wobei Hélène und Hubert ahnen, dass dies so zufällig nicht war, sondern der Grund seiner verspäteten Ankunft im Mai, habe er erfahren, dass dort für die Forces Françaises de l’Intérieu r ein Funker im Einsatz sei. Außerdem soll es in Lapalisse eine Funkstation geben – niemand allerdings weiß, wer die betreibe oder wie man die überhaupt finden könne. Das dürfte sich nur vor Ort erkunden lassen.
Major Farmer alias Hubert teilt sich selbst für die Recherche in Lapalisse ein, Hélène soll sich in Châteauroux auf die Suche begeben. Die erste Teilstrecke fahren sie gemeinsam, geleitet und geschützt von zwei Maquisards. Alle vier selbstverständlich mit falschen Papieren versehen, alle vier selbstverständlich bewaffnet. Ihre Fahrräder binden sie auf das Dach des Autos. Am nächsterreichbaren Bahnhof steigen Hubert und Hélène mitsamt den Rädern in den Zug nach Montluçon, einer ihrer Begleiter fährt den Citroën zurück ins Lager, der andere bleibt in der Nähe von Hélène, jederzeit bereit, im Falle eines Falles einzugreifen.
Es gibt jedoch keine Kontrollen. Die Deutschen haben alle verfügbaren Kräfte am Mont Mouchet konzentriert. Ihr erster Angriff am 2 . Juni über die Südflanke des Felsenmassivs war abgeschlagen worden. Jetzt, am 10 . Juni, vier Tage nach dem D-Day an den Küsten der Normandie, wovon aber die Verteidiger da oben noch immer nichts wissen, weil sie ohne Funkkontakt und ohne Radio sind, beginnen sie eine Großoffensive mit mehr als zweitausend Mann, im Osten von Saint-Flour, im Westen von Le Puy, im Norden von Langeac aus. Gaspards Truppen sind ihnen an Kopfzahl überlegen, denn er hat mittlerweile sechstausend Kämpfer unter seinem Kommando, doch die anderen sind erfahrene Soldaten, haben Unterstützung aus der Luft durch Stukas und Fieseler Störche, sind motorisiert und bestens bewaffnet.
Zur Brigade unter dem Befehl von Generalmajor Kurt von Jesser, »Brigade Jesser« genannt, stationiert in den Départements Allier, Haute-Loire, Cantal, Dordogne und Indre, gehören Einheiten der SS , Polizeikräfte wie das Regiment 19 , eine Legion mit faschistischen Freiwilligen aus besetzten Ländern Osteuropas und der Kaukasusregion, zum Beispiel die Aserbaidschanischen Bataillone 804 und 806 oder die Wolga-Tatarische Legion (Idel-Ural-Legion) oder ein Freiwilligen-Stamm-Regiment, Kompanien der Feldgendarmerie und der Sipo. Insgesamt befehligt Jesser sechs Kampfgruppen von 2500 Mann, ausgerüstet mit Panzerspähwagen, Granatwerfern und Artillerie.
Die Stellungen des Maquis sind nicht zu halten. Gaspard befiehlt der Lage gehorchend den Rückzug. Eine taktische Meisterleistung, weil seine Leute die Nacht benutzen, um geräuschlos das Plateau oben auf dem Mont Mouchet über die Südflanke zu verlassen. Als die ersten deutschen Soldaten ankommen, finden sie nur eine menschenleere Fläche und das halb zerstörte Forsthaus vor. Der Feind ist verschwunden.
Funkspruch der »Eroberer« an die beiden Jesser-Kampfgruppen von Major Johann Enss und Rittmeister Ernst Coelle: »Gruppe Abel hat 11 . 6 . abends Mont Mouchet genommen. Ist angewiesen, auf Paulhac durchzustoßen. Gruppe Coelle gegen Paulhac vorgehen und Verbindung aufnehmen.« Betriebsstoff, Munition und Verpflegung würden am nächsten Tag zugeführt. Enss wird von seinem Kommandeur befohlen: »Am Feind bleiben. Wenn Lage erfordert, absetzen, soweit unbedingt notwendig. Kampfauftrag für 12 . 6 . bleibt bestehen. Mit Kampfgruppe Abel auf Mont Mouchet vereinigen. 2 Polizeikompanien St. Flour werden unterstellt. Heranziehen.« Und für Rittmeister Coelle gilt: »In Stellung an Allier bleiben. Gefechtsaufklärung vortreiben. Feind beunruhigen. Kampfgruppen Enss und Abel in fortschreitendem Angriff auf Mont Mouchet.
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