Codename Hélène
kontrollierte und die Waffen verteilen ließ, war über andere Frauen von SOE , die sie kannte, bereits das Todesurteil gesprochen, wenn auch noch nicht bei allen vollstreckt worden. Sie wurden gejagt, wie auch Nancy Wake oft gejagt worden war – sie jedoch entkam bisher ihren Jägern, die »Weiße Maus« blieb unsichtbar. Von Special Operations Executive in London erfuhren die Agenten draußen im Feld nur das Nötigste und nichts, was sie zusätzlich belasten würde. Die Funksprüche sollten wegen der deutschen Überwachung grundsätzlich kurz gehalten werden. Auch jetzt, da das größte Geheimnis, der D-Day, gelüftet war und die Invasion, angekündigt mit jenen verschlüsselten Botschaften, stattgefunden hatte. Colonel Buckmaster vertraute zwar der Moral seiner »Feldarbeiter« und wusste um deren Fähigkeiten. Andernfalls wären sie von ihm nicht in die Gefahrenzone geschickt worden.
Doch vor schlechten Nachrichten schirmte er sie ab. Schon seit über einem Jahr zum Beispiel gab es keine Lebenszeichen mehr von vielen Agenten der Special Operations Executive, darunter auch Frauen wie Violette Szabo oder Andrée Borrel, die Nancy Wake bei der Ausbildung kennengelernt hatte. Die Netzwerke, für die sie aktiv gewesen waren, zum Beispiel Prosper in Paris, waren aufgeflogen. Das wusste die Einsatzzentrale in London. Aber wer von deren Mitgliedern geflohen war und sich nun im Untergrund schweigend versteckt hielt, wer überlebt hatte oder wer erschossen wurde, wer im Gefängnis saß oder in einem deutschen Konzentrationslager, all das wussten sie nicht.
Dass die Sektion F von SOE für Abwehr und SS in Frankreich Staatsfeind Nummer eins war, dass sie insbesondere deren Spezialisten ausschalten sollten, vorrangig per gezieltem Schuss direkt nach der Landung, beruhte auf einem persönlichen Befehl Hitlers. Die männlichen Agenten sollten, falls möglich, sofort exekutiert, die weiblichen in Konzentrationslager deportiert werden. Im britischen Geheimdienst machte ein angebliches Zitat des Diktators die Runde, wonach er noch nicht entschieden habe, ob er bei der Eroberung Englands zuerst Winston Churchill würde aufhängen lassen oder doch zuerst Maurice Buckmaster. Nach London kam der »Führer« zwar nie. Er rächte sich dafür aber an denen, die seine Schwarzen Teufel in Frankreich erwischten.
Warum Agentinnen aber ermordet wurden, während viele SOE -Männer trotz gegenteiliger Anweisung mit dem Leben davonkamen, obwohl sie auch wie die Frauen in Konzentrationslager deportiert worden waren, beschäftigt Historiker bis heute. Sie haben keine überzeugende Erklärung gefunden. Welche abscheulichen Verbrechen nach Auffassung der Nazi-Verbrecher hatten die Frauen begangen, die schlimmer waren als die vorgeblich von Männern begangenen? Obwohl die Frauen doch, wie die US -Autorin Rita Kramer in ihrem Buch Flames in the Field schreibt, fast alle als Funkerinnen oder als Kurierinnen »low-ranking members of the SOE « – niedrigrangige Mitglieder der SOE – waren und den Befehlen der weitaus höher gestellten Männern an der Spitze der Netzwerke gehorchten.
Fast auf den Tag genau vier Wochen nach der Invasion werden vier von ihnen im Konzentrationslager Natzweiler-Struthof umgebracht, dem einzigen deutschen KZ im besetzten Frankreich, gelegen in beschaulicher Ungebung im Elsaß. Das ehemalige Restaurant der touristischen Anlage, beliebt bei Wanderern und Skifahrern, ist dank deutscher Handwerkskunst zu einer Gaskammer umgebaut worden, und im Ofen des Krematoriums ließen sich im Abstand von 35 Minuten jeweils vier Leichen verbrennen.
Andrée Borrel, als Talent entdeckt wie Nancy Wake bei FANY , ebenfalls ausgebildet in den geheimen Camps in Schottland und England, unter dem Codenamen Denise Kurierin und Fluchthelferin im SOE -Netzwerk Physician, davor wie vor ihr Madame Fiocca im legendären Pat O’Leary Circuit aktiv, war am 22 . Juni 1944 verhaftet, von der Gestapo verhört und gefoltert – was sie schweigend überstand –, danach über das Zuchthaus Karlsruhe nach Natzweiler-Struthof transportiert worden. In der Nacht vom 6 . auf den 7 . Juli wurde sie aus ihrer Zelle geholt und in einem provisorischen Krankensaal auf einer Pritsche festgebunden. Ein Arzt mit gezückter Spritze stand bereit.
Ob es Dr. Werner Rohde war oder sein SS -Kollege Dr. Heinrich Plaza oder ob sich beide Mörder abwechselten – denn außer Denisekamen in dieser Nacht noch drei weitere Frauen um –, ist nicht mehr festzustellen. Pourquoi?,
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