Codename Sparta 01 - Die Sternenkoenigin
nicht herausschmecken wollte, hörte nicht mehr, was sie nicht hören wollte, und sah nur noch das, was sie sehen wollte – zumindest, solange sie sich bewußt darum bemühte –, aber von Zeit zu Zeit überkamen sie merkwürdige Eindrücke, und sie verspürte einen Drang, über den sie sich nicht vollständig klarwerden konnte.
In der Zwischenzeit gingen das Leben und die Arbeit weiter. Ein Jahr verging, dann zwei. An einem heißen und drückenden Morgen im August beugte sich Sparta dicht über die Papiere auf ihrem Schreibtisch. Es waren Kopien von Dokumenten und Artikeln, über denen sie schon viele Male gebrütet hatte; nichts davon war geheim, sie waren alle ohne Schwierigkeiten für die Öffentlichkeit zugänglich und belegten die unschuldigen Anfänge des Sparta-Projekts. Einer von ihnen begann mit den Worten:
VORSCHLAG an das Erziehungsministerium der Vereinigten Staaten. Pilotprojekt für die Entwicklung multipler Intelligenzen.
Einführung
Es ist bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, daß das menschliche Gehirn über ungenutzte Lern- und Wachstumskapazitäten verfügt – Kapazitäten, die lediglich in einer winzigen, zufällig gefundenen Minorität von Individuen nicht verkümmern, die wir als »Genies« bezeichnen. Immer wieder hat man Erziehungsprogramme vorgeschlagen, deren Ziel es war, die ungenutzten intellektuellen Kapazitäten des Kindes im Entwicklungsstadium zu maximieren. Nie zuvor jedoch sind tatsächlich anwendbare Methoden zur Stimulierung intellektuellen Wachstums präzise erkannt und erst recht nicht bewußt kontrolliert und angewandt worden. Gegenteilige Behauptungen hatten sich im schlimmsten Fall als falsch, im günstigsten als schwer zu verifizieren herausgestellt.
Darüber hinaus hält sich hartnäckig die falsche Ansicht, Intelligenz sei ein einziges, meßbares, vererbbares oder gar genetisches Merkmal, eine Ansicht, die durch die ständige, weitverbreitete Anwendung von seit langem diskreditierten Intelligenztests durch Schulen und andere Institutionen fortgesetzt wurde. Diese anhaltende Anwendung kann nur als Versuch der Verwaltung gewertet werden, eine praktische (und in den meisten Fällen sich selbsterfüllender) Prophezeiung abzugeben, nach der man dann die zur Verfügung stehenden und als knapp erkannten Mittel verteilt. Die fortgesetzte Anwendung des IQ hat sämtliche Versuche, alternative Theorien in der Praxis zu überprüfen, scheitern lassen.
Die Autoren dieses Vorschlages wollen beweisen, daß es keine eindimensionalen Genies gibt, daß jedes einzelne menschliche Wesen über viele Intelligenzen verfügt und daß verschiedene, vielleicht alle dieser Intelligenzen zu vermehrtem Wachstum angehalten und gefördert werden können, wenn verständige und besonders dafür ausgebildete Lehrer und Erziehungstechniker eingesetzt werden …
Sah man bei diesem Dokument von seinen akademischen Phrasen ab, so ergab es eine recht gute Beschreibung dessen, was Spartas Eltern sich vorgenommen hatten.
Sie waren Erkenntniswissenschaftler, ungarische Emigranten mit einem besonderen Interesse für die Entwicklung des Menschen. Ihrer Ansicht nach stellte ein IQ eine Zahl dar, die an sich keinerlei Bedeutung hatte, aber einige wenige bevorzugte und viele verdammte. Zudem konnten sich Rassisten nur allzuleicht auf sie berufen. Das schändlichste an dieser eigenartigen Annahme war, daß irgendein mysteriöses Etwas mit der Bezeichnung IQ nicht nur erblich, sondern ein für allemal festgelegt war, und daß nicht einmal das förderlichste Eingreifen in die Wachstumsphase eines Kindes die Menge dieser magischen geistigen Substanz vergrößern konnte, zumindest nicht um mehr als ein paar unbedeutende Prozentpunkte.
Spartas Eltern hatten sich vorgenommen, das Gegenteil zu beweisen. Aber trotz ihrer revolutionären Rhetorik entdeckten die Öffentlichkeit und Behörden, die die Mittel zur Verfügung stellen sollten, etwas Altmodisches in ihren Ideen, und es dauerte mehrere Jahre, bis sich eine Unterstützung in Form eines bescheidenen Stipendiums von einem anonymen Spender abzeichnete. Ihre Überzeugung verlangte es, daß ihr erstes Versuchsobjekt ihre eigene junge Tochter sein sollte. Ihr Name lautete damals noch Linda.
Wenig später trugen der Staat New York und die Ford-Stiftung ihr Scherflein dazu bei, indem sie gewisse Mittel zur Verfügung stellten. Das Projekt SPARTA bekam ein Akronym als Namen, dazu einen kleinen Kreis fest Abgestellter und mehrere neue Studenten.
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