Codename Sparta 01 - Die Sternenkoenigin
reiste, wollte sie das Echte, Schmutz und Glanz, Lärm und Musik, Bitterkeit und Süße.
Das Taxi hielt in der New Bond Street. Sylvester schob ihre Magnetkarte in den Schlitz an der Uhr, öffnete die Tür und trat auf das feuchte Straßenpflaster. Während sie darauf wartete, daß der Apparat ihre Transaktion verzeichnete, zupfte sie ihren seidenen Rock zurecht und wickelte sich fester in ihren Chinchillamantel, um sich gegen den überall hereinkriechenden Nebel zu schützen. Die Magnetkarte kam wieder heraus, und die Stimme des Taxiroboters sagte: »Vielen Dank, Madam.«
Sie schob sich durch die hungrig aussehenden Menschenmenge und lief rasch in das Gebäude hinein und nickte einem rotwangigen Pförtner zu, der sie wiedererkannte und zurücklächelte. Sie betrat den kleinen gedrängten Auktionsraum, wo Bücher und Manuskripte versteigert wurden. Sie war schon oft hier gewesen, erst gestern nachmittag, als sie die Angebote für den heutigen Tag begutachtet hatte. Stücke aus zwei privaten Sammlungen standen zum Verkauf. Die eine hatte dem erst kürzlich verstorbenen Lord Lancelot Quayle gehört, bei der anderen blieb der Besitzer anonym. Man hatte die beiden Sammlungen in über hundert Einzelposten aufgeteilt, von denen die meisten allerdings für Sylvester nur von geringem Interesse waren.
Obwohl sie recht früh dran war, begann sich der Raum bereits zu füllen. Sie suchte sich einen Klappstuhl in der Mitte des Raumes aus, setzte sich und wartete. Es war, als wäre sie zu früh in die Kirche gegangen. Zu ihrer Rechten befand sich eine Art Querschiff, das sie von ihrem Platz nur schwer einsehen konnte. Wer als Bieter unerkannt bleiben wollte, setzte sich oft dorthin. Die ältesten Buchhändler, Magg’s, Blachwell’s, Quaritch und all die anderen, saßen bereits auf ihren angestammten Plätzen um den Tisch gleich vor dem Podium. Die ersten Reihen der Klappstühle waren von grell-geschmacklos gekleideten Filmleuten mit Beschlag belegt worden, deren Auftreten alles andere als würdig war. Dieses aufdringliche Gehabe und Gerede! Sicher würde man sie auffordern, den Raum zu verlassen, wenn sie nicht mit diesem Lärm aufhörten …
Die Filmleute wurden wie der Rest des ungewöhnlich zahlreichen Publikums insbesondere von zwei Gegenständen angezogen. Einer war in der Tat ein Kuriosum. Lord Quayle hatte sein ganzes Leben lang eine besondere, schon fast krankhafte Vorliebe für alles Römische gehegt, und als Ergebnis davon war in seiner Bibliothek ein Bericht aufgetaucht, der angeblich von einem Burschen namens Flavius Peticius in abscheulichem Griechisch mit Fischtinte auf zerfallendes Pergament gekritzelt worden war. Dieser Flavius, ein nicht sonderlich gebildeter, offenbar sehr leichtgläubiger römischer Zenturio, gab vor, zu Beginn des 1. Jahrhunderts vor den Toren Jerusalems die Kreuzigung eines gewissen Joshua von Nazareth und zweier anderer Verbrecher beobachtet zu haben.
Hier bot sich der Stoff, aus dem die großen Geschichten gemacht werden. Deswegen war das ganze Filmvolk gekommen. Die BBC hatte erst kürzlich eine prachtvolle Version von Desiree Gilfoleys ›Solange Rom brennt‹ in Szene gesetzt, in der das ehemalige Model Lady Adastra Malypense ihr Schauspieldebut gab, was insbesondere deswegen bemerkenswert war, weil Lady Malypense nur in einer einzigen ihrer vielen Szenen überhaupt bekleidet auftritt, und zwar in einem nach ägyptischer Mode gefertigt, durchsichtigen Gewand. Vielleicht befand sich Lady Malypense sogar höchstpersönlich unter den Unruhestiftern in der ersten Reihe. Sylvester hätte sie allerdings nicht erkannt, ganz gleich, ob sie bekleidet war oder nicht.
Was Sylvester anbelangte, hätte man ein Stück des echten Kreuzes versteigern können – womit alles über den tatsächlichen Wert dieses Pergaments gesagt war. Sondra Sylvester war wie die meisten anderen seriösen Sammler von dem Stück Nr. 61 angezogen worden, einem einzelnen, dicken Buch. Ironischerweise hätten die Nachrichtenmedien es wohl gar nicht beachtet, wenn dieser Text nicht als Vorlage für einen Klassiker des britischen Films aus dem vorigen Jahrhundert gedient hätte. Sylvester wäre das allerdings lieber gewesen.
Sie hatte es gestern auf dem schlichten Bücherregal hinter dem Podium inspiziert, wo es von stämmigen Beamten bewacht wurde und wo die geschäftsmäßig gekleideten jungen Männer und Frauen des Personals unablässig ein Auge darauf hielten. Das Buch lag aufgeschlagen da, damit man einen Blick auf
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