Codename: Sparta - 5 - Der Jupiter-Diamant
Mondrandes dahinzog.
Durch den Greifer übertrug sich das Surren eines winzigen elektrischen Krans auf das Dach des Fahrzeugs, während der Maulwurf äußerst vorsichtig aus der Luke gehievt und außerhalb des Schiffes im Gleichgewicht gehalten wurde. Das Surren hörte auf. Dann ein Klicken, als der letzte magnetische Greifer die Maschine freigab. Dann ein weiteres Klicken. Die Federn hatten sich gelöst und stießen das Fahrzeug sachte vom Schiff. Langsam und beinahe schwerelos senkte sich die schwere Maschine in die Tiefe. Ihr Fall zwischen die Dunstschleier dauerte endlos lange, fast wie das Zusammensacken eines Heliumballons.
Aus der milchigen Weiße an Backbord tauchte der Rand der riesigen fremdartigen Antenne auf. Die Ventris hatte den Maulwurf neben der Antenne abgesetzt, denn an dieser Stelle wiesen die Eisproben Stellen auf, die unnatürlich viel jünger waren als das ansonsten gleichförmige und Milliarden Jahre alte Eis von Amalthea.
Blake und Forster spürten kaum den sanften Zusammenprall mit dem zerbrechlichen Eis, als sie auf der Oberfläche aufsetzten – aber draußen waren plötzlich Schneeverwehungen zu erkennen, die bis zu halber Höhe des Cockpitfensters reichten.
Über und hinter ihnen schwebten zwei weiße Gestalten wie zwei stattliche Engel am nachtschwarzen Himmel – Hawkins und Groves. Sie überprüften die halb eingerollten, flachen Stromkabel, die den Maulwurf aus den Zusatzaggregaten der Ventris mit Energie versorgen sollten.
»Okay, jetzt müßtet ihr euch bewegen können«, ertönte Hawkins’ gut gelaunte Stimme im Funk. Er hatte sein Unbehagen gegenüber Raumanzügen überwunden und war nach einem Tag Übung fast zu einem Experten für Bewegung im Vakuum geworden.
»Wir sind hier alle bereit«, gab Blake zur Ventris durch.
»Und auf unseren Anzeigen sehen die Verbindungen alle sehr gut aus«, erwiderte Walsh vom Steuerdeck.
Forster sagte gereizt: »Wenn Sie soweit sind, können Sie endlich loslegen.«
Blake schob die Potentiometer mit einer leichten Bewegung nach vorn.
Unter ihnen begann der gegenläufige Zwillingsbohrer sein kompliziertes Werk, zuerst langsam, dann mit wachsender Geschwindigkeit. Eine Wolke aus Eiskristallen hüllte den Maulwurf ein. Die obersten zehn oder zwölf Meter bestanden aus Eisgischt, dann gab es einen Stoß, und die Maschine versank abrupt in einer Tasche aus Eis. Schließlich stießen die diamantbeschichteten Titanklinken kreischend auf altes, hartes Eis, und der Maulwurf begann, sich geradewegs in das Herz von Amalthea zu bohren.
Forster entspannte sich plötzlich und stieß einen langen Seufzer aus, als hätte er die ganze Zeit den Atem angehalten. Je näher er dem Mittelpunkt von Amalthea kam, desto aufgeregter wurde er – es war, als wäre seine Besessenheit eine Schwerkraft, die mit geringer werdender Entfernung zu seinem Ziel immer größer wurde.
Der große Bildschirm in der Mitte der Anzeigetafel vermittelte Blake und Forster ein klares, dreidimensionales Bild von der Beschaffenheit des Mondes in ihrem Abschnitt – wo sie sich befanden und wohin es ging. Man hatte die Ergebnisse der letzten seismischen Untersuchungen der Ventris zusammen mit den Informationen aus einem vollen Jahr passiver Beobachtungen durch die Satelliten der Raumkontrollbehörde in die Datenbank des Eismaulwurfs eingegeben. Wäre Amalthea nicht ein Ort voller Überraschungen, wäre das Bild auf dem Schirm jetzt vielleicht unerwartet gewesen …
Über ein Jahrhundert lang, seit Amalthea zum erstenmal von der Robotersonde Voyager I aus der Nähe fotografiert worden war, hatte man geglaubt, der Mond besäße nur geringfügige Mengen flüchtiger Substanzen – angesichts der Tatsache, daß der Mond keine Atmosphäre hatte, hart gefroren war und ohne Leben zu sein schien, sicher eine vernünftige Hypothese. Sein viel größerer Nachbar Io war im Gegensatz dazu ein so weicher Mond und so reich an löslichen Flüssigkeiten und Gasen, daß dort seit jenem Tag, als er durch denselben Satelliten entdeckt worden war, unablässig beträchtliche Schwefelvulkane tätig waren. Voyager I war der erste künstliche Beobachter, der in die Umlaufbahn des Jupiter gelangt war; er hatte enthüllt, daß die Erde mit ihrer geologischen Aktivität nicht allein im Sonnensystem war.
In Wirklichkeit jedoch war Amalthea so flüchtig, wie ein kleiner Körper nur sein kann, denn er bestand fast ausschließlich aus Wasser; und obwohl er im Strahlengürtel des Jupiter schwamm und ihn die
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