Codename Tesseract - Wood, T: Codename Tesseract - The Killer
einzelne Fahrzeug kontrolliert, das Russland verlassen wollte. Und hatten nicht einmal die Freundlichkeit besessen, ihm zu verraten, warum.
Vielleicht war Schlafen doch keine so gute Idee. Er musste vor Mitternacht in Tallinn sein, und wenn er verschlief, dann war er geliefert. Er griff nach dem Mantel auf dem Beifahrersitz und schlüpfte hinein. In der Kabine war es wunderbar warm, aber draußen herrschten Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt. Er setzte auch seine Wollmütze auf und zog sie bis weit über die Ohren, dann schlüpfte er in die Handschuhe. Kohtla-Järve lag an der Nordküste Estlands, und der Wind von der Ostsee her konnte auch bei gutem Wetter abscheulich sein. Aber heute war es noch schlimmer als sonst – viel schlimmer.
Er öffnete die Tür und fing augenblicklich an zu zittern. Der Wind trieb ihm die Farbe ins Gesicht. So schnell wie nur möglich verriegelte er die Zugmaschine und hastete der Raststätte entgegen.
Es gab keinen Grund, vorher noch den Anhänger zu überprüfen, und selbst wenn, er hätte den Schlitz in der Plane auf der linken Seite vermutlich gar nicht bemerkt. Es war ein senkrechter Schnitt, einen knappen Meter lang, der von innen mit extra starkem Klebeband zusammengehalten wurde.
Langsam wurden die Klebestreifen entfernt, wurde die Plane auseinandergezogen. Eine schlotternde Gestalt schob sich durch die Öffnung, ließ sich zu Boden fallen und brach auf dem Asphalt zusammen, weil die halb erfrorenen Beine sie nicht tragen konnten.
Unter enormen Anstrengungen wuchtete Victor sich auf die Knie und kam schließlich auf die Füße, indem er sich am Sattelschlepper
festhielt. Er war beim Sturz auf den Boden nass geworden und wusste, dass das Wasser bald zu Eis gefrieren würde, wenn er nicht in die Wärme kam.
Er zitterte unkontrolliert am ganzen Körper. Seine Hände und Füße waren vollkommen taub. Das Klappern seiner Zähne dröhnte ihm in den Ohren. Die Raststätte war knapp fünfzig Meter entfernt. Er stieß sich vom Sattelschlepper ab und taumelte vorwärts, mit schnellen Schritten, um nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen. Der Wind kam von rechts und drückte ihn nach links. Er lehnte sich dagegen, das Kinn auf die Schulter gedrückt, die Hände vorn in die Hose geschoben, weil das die wärmste Stelle seines Körpers war. Parkende Fahrzeuge standen ihm im Weg, und er prallte ständig dagegen, weil er seine Schritte nicht kontrollieren konnte.
Er hatte etliche Stunden im Laderaum des Sattelschleppers zugebracht. Zwar trug er einen dicken Mantel, eine Mütze und Handschuhe, aber das war nicht genug gewesen, um die Kälte in Schach zu halten. Unter normalen Bedingungen wohl schon, doch der unvorhergesehene Sturm über dem Ostseeraum hatte zu extremen Wetterverhältnissen geführt. Eine Flucht mit dem Zug oder dem Flugzeug wäre zwar angenehmer gewesen, hätte ihn aber seinen Feinden direkt in die Arme getrieben. Und wenn er selbst gefahren wäre, hätte er ebenfalls riskiert, von den Behörden angehalten zu werden. Das Versteck im Laderaum eines Sattelschleppers war also eigentlich eine gute Idee gewesen … vor dem Wetterumschwung. Der Sattelzug war mit Gemüse beladen, und er hatte sich zwischen die Kisten gekauert, um sich vor dem Wind zu schützen, der es bis in den Laderaum schaffte. Der Schnitt in der Plane hatte die Bedingungen noch einmal verschlechtert.
Wenn die Zöllner an der Grenze gründlich genug gewesen wären, den Anhänger zu durchsuchen, dann wäre er sowieso nicht mehr in der Lage gewesen, sich zu verteidigen. Er hatte auch kurz mit dem Gedanken gespielt, den Fahrer zu bestechen,
damit er im Führerhaus sitzen und erst kurz vor der Grenze in den Anhänger wechseln konnte. Dann hätte er es warm gehabt, ging aber das Risiko ein, dass der Fahrer ihn entweder an die Behörden verriet oder sich so verdächtig benahm, dass es auffiel.
Victor gelangte zum Eingang und stieß die Tür auf. Die estnischen und russischen Gäste warfen ihm ein paar Blicke zu. So, wie er aussah, zog er automatisch die Aufmerksamkeit auf sich, aber das ließ sich nicht vermeiden. Das Wichtigste war jetzt, dass ihm wieder warm wurde. Zu erfrieren, nur um nicht gesehen zu werden, das ergab ja auch keinen Sinn.
Er trat an den Tresen und sagte: »Kaffee, bitte.«
Da er die estnische Sprache nicht beherrschte, redete er russisch. Rund ein Viertel der Bevölkerung Estlands war sowieso russischstämmig, und die Stadt lag so dicht an der Grenze, dass man hier vermutlich
Weitere Kostenlose Bücher