Codewort Rothenburg
den Raum betrat, geflötet: »Sie müssen sich leider noch einen Moment gedulden. Der Brigadeführer ist noch beschäftigt.«
Natürlich war der Mann beschäftigt. Er war der Chef des Auslandsnachrichtendienstes im Reichssicherheitshauptamt und außerdem Heydrichs rechte Hand. Niemand hatte so direkten Zugang zum Obergruppenführer, hieß es. Gerüchten zufolge sollte Heydrich bald eine Aufgabe im Osten übernehmen. Wer sonst als Schellenberg käme als sein Nachfolger infrage? Der Mann machte schneller Karriere als jeder andere. Er stand schon ganz oben und war doch erst am Anfang. Was wollte er bloß von einem kleinen Polizeibeamten?
Die Flügeltür im Rücken der Sekretärin wurde ruckartig aufgeschoben. Der schon wieder, dachte Daut, als der Kopf von Schwarz im Türrahmen erschien.
»Heil Hitler, Hauptsturmführer. Der Brigadeführer hat jetzt Zeit für Sie.«
Daut bemühte sich, nicht allzu beflissen aufzuspringen und gemessenen Schrittes das angrenzende Büro zu betreten. Aber was hieß hier Büro. Vor ihm lag eher ein Saal. Am gegenüberliegenden Ende stand ein Mann in SS-Uniform an einem bis zum Boden reichenden Fenster. Er schaute hinaus und kehrte Daut den Rücken zu.
»Brigadeführer ...«
Als hätte er sich erst durch Schwarz’ Ansprache besonnen, dass er nicht alleine im Raum war, drehte sich der Uniformierte um und ging langsam, als schlendere er über einen Boulevard, auf die Eintretenden zu. Daut nahm unwillkürlich Haltung an und grüßte vorschriftsmäßig. Schellenberg deutete nur ein Kopfnicken an. Typisch. Je höher der Rang, desto lässiger der Umgang mit den Grußformalien. Ohne an seiner gelangweilten Gangart etwas zu ändern, ging der Brigadeführer zu einer ledernen Sitzgarnitur, über der ein riesiges Gemälde hing. Soweit Daut es beurteilen konnte, zeigte es eine Schlachtszene aus dem Dreißigjährigen Krieg. Schwarz legte Daut die Hand auf den Rücken, exakt zwischen die Schulterblätter, als wolle er ihn zur Eile antreiben.
»Der Kriminalkommissar Axel Daut, Brigadeführer.«
Schellenberg setzte sich in einen der Sessel und wies den beiden mit einer lässigen Geste das Sofa zu. Wie jungenhaft er wirkte. Groß und schlank, wie er war, saß die maßgeschneiderte Uniform perfekt. Selbst als er sich setzte, warf der Rock kaum eine Falte. Nachdem Daut vorsichtig Platz genommen hatte, blickte Schellenberg ihn direkt an. In seinem ovalen, länglichen Gesicht blitzten zwei wache Augen. Das glänzende, schwarze Haar war mit Pomade in Form gebracht. Daut kam es vor, als kräuselten sich die vollen Lippen zu einem spöttischen Lächeln.
»Schön, dass Sie Zeit für uns haben, Herr Kommissar. Ihre Truppe ist ja im Moment mächtig beschäftigt. Cognac?«
Er wies mit der rechten Hand auf einen Beistelltisch, auf dem eine ansehnliche Batterie Kristallkaraffen stand.
»Nein danke, Brigadeführer.« Daut ärgerte sich, dass seine Stimme weniger fest klang als gewünscht.
»Ja, ja, Sie sind im Dienst, ich weiß. Aber heute ist eine Ausnahme.«
Während Schellenberg eine Karaffe ergriff und begann, die auf dem Tisch stehenden Cognacschwenker großzügig zu füllen, blickte Daut nach unten. Zum Glück hatte er heute einen dezenten Handschuh gewählt. Als hätte er gewusst, dass er gleich mit einer lebenden Legende ein Glas trinken würde. Wenn er das seinem Sohn erzählte. Walter Schellenberg war seit dieser Aktion in Venlo ein Held. Kurz nach Kriegsbeginn, im November 1939, war es ihm gelungen, zwei britische Geheimdienstleute in einem Café im deutsch-niederländischen Grenzgebiet zu stellen und ins Reich zu schaffen. Es waren nicht irgendwelche kleinen Spione. Nein, es waren ihm zwei große Fische ins Netz gegangen: die Chefs der Westeuropazentrale des MI6. Außerdem waren die beiden die Hintermänner des Attentats auf Hitler kurz zuvor im Münchner Bürgerbräukeller. Zumindest behauptete das der SD. Die Aktion war auch in anderer Hinsicht bedeutsam, denn die englischen Agenten hatten sich anscheinend völlig unbehelligt in Holland aufgehalten. Angeblich gab es eine Zusammenarbeit zwischen niederländischem Geheimdienst und Secret Service. Ob das stimmte oder nicht ‒ es reichte als Vorwand, und kurze Zeit später marschierten deutsche Soldaten durch Amsterdam.
Der strahlende Held dieser Aktionen prostete ihm in diesem Moment zu. Daut sog den wunderbaren Duft alten Cognacs ein und nahm einen kleinen Schluck. Ohne zu brennen rann die Flüssigkeit die Kehle hinunter. Was für ein
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