Codewort Rothenburg
-, bevor der Sieg der Gerechtigkeit und Vernunft feststeht. Aber es muss zur Niederlage dieser Bande kommen, die sich Deutschland einverleibt hat. Später, wenn einige Zeit vergangen ist, werden hoffentlich alle Deutschen erkennen, dass sie Verbrechern nachgelaufen sind. Deshalb habe ich keine Angst vor dieser neuen Zeit, Luise. Ich habe nur Angst vor den nächsten Tagen, Wochen und Monaten.«
Luise goss den letzten Rest Kaffee aus der Kanne in Erna Neebs Tasse.
»Du sprichst immer von Verbrechern. Seit dem ersten Eintopfessen in eurer Wohnung habe ich viel darüber nachgedacht. Wenn ich euch richtig verstehe, gehören auch die Soldaten zu diesen Schuldigen?«
»Nein, zumindest nicht alle. Dem Dienst in der Wehrmacht kann sich keiner ohne Gefahr für sein Leben entziehen, und selbst wir fordern nicht, dass ein deutscher Soldat nur über die Köpfe des Gegners zielt. Wir verlangen von niemandem, dass er sein Leben riskiert. Mancher tut es freiwillig. Du erinnerst dich doch an Kurt, den Künstler?«
Luise nickte stumm. Erna strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn, ehe sie weitersprach.
»Kurt würde sich eher töten lassen, als einen russischen Kameraden zu erschießen. Männer wie ihn bewundern wir, und Generationen nach uns werden es ebenfalls tun. Wir erwarten von niemandem so ein Heldentum. Aber du hast den Film gesehen, Luise. Die Schauplätze waren keine Schlachtfelder, und es waren keine Soldaten, die im Kampf auf andere Soldaten schossen. Es waren Polizisten, die Zivilisten töteten. Selbst nach dem heute geltenden Recht haben sie diese Menschen rechtswidrig umgebracht. Sie sind Mörder. Nichts als feige Mörder. Ob man sie bestrafen kann, darüber wird man erst später und im Einzelfall entscheiden. Schuldig sind sie jedoch auf jeden Fall.«
Luise stellte die Kaffeetasse heftig auf den Unterteller, was sie sofort bedauerte.
»Ihr redet so viel von Schuld.«
»Weil es so viel davon gibt. Heute kann in diesem Land jeder zu jeder Zeit zum Verbrecher werden. Das ist das Schlimmste, was wir im Moment erleben.«
»Aber der Einzelne ist doch machtlos. Er gehorcht. So war es doch immer ‒ und vor allem im Krieg.«
Erna spürte, dass Luise etwas anderes auf dem Herzen hatte. Sie beschloss, es direkt anzusprechen.
»Geht es um deinen Mann?«
Luise zögerte nicht eine Sekunde, ihrer Freundin von der Befürchtung zu erzählen, dass Axel zu einem Einsatzkommando versetzt werden könnte. Als Erna sah, dass Luise die Tränen in die Augen stiegen, rückte sie ihren Stuhl an ihre Seite und legte den Arm um ihre Schultern.
»Das ist schlimm, Luise. Trotzdem kann man sich selbst dort die Menschlichkeit bewahren. Du hast die Männer im Film gesehen, wie sie hämisch grinsten und laut lachten, als sie die nackten, entwürdigten Menschen töteten. Niemand wurde gezwungen zu lachen. Es gibt immer und überall Möglichkeiten, Leid zu lindern, und sei es im Kleinen.«
Nach einem Moment des Schweigens fuhr Erna fort:
»Ich wollte dich ohnehin etwas zu deinem Mann fragen. Du musst nicht antworten, wenn du nicht willst.«
»Nur zu!«
»Du hast mir vor ein paar Tagen erzählt, dass er die Ermordung einer Prostituierten bearbeitet. Weißt du, wie es im Moment um diesen Fall bestellt ist?«
Luise berichtete in Kurzform, dass Axel den Fall abgeben musste.
»Der Mörder ist ein desertierter Soldat. Darum kümmern sich jetzt andere. Axel sagt, sie seien ihm auf der Spur.«
Ernas Gesicht lief kreidebleich an. Sie schluckte den Kloß herunter, der in ihrer Kehle steckte, und blickte der Freundin direkt in die Augen.
»Du kennst den Mörder, Luise. Erinnerst du dich an den jungen Mann, der bei deinem ersten Besuch zugegen war?«
»Meinst du das ‹Sorgenkind›? Nanntet ihr ihn deshalb so?«
»Ja, denn wir machen uns große Sorgen um ihn?«
»Warum hat er die Frau umgebracht?«
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Axel kommt erst in ein paar Stunden vom Dienst.«
»Du wirst es erfahren, Luise. Aber noch nicht heute. Noch ist nicht die Zeit dafür. Doch da gibt es noch etwas.«
Luise schaute die Freundin fragend an und nickte ihr gleichzeitig aufmunternd zu.
»Du hast am letzten Sonntag gesagt, du würdest gerne etwas tun.«
Erna bückte sie sich, griff in den Korb, der neben ihrem Stuhl stand, und legte ein in Zeitungspapier eingewickelte Paket auf den Tisch. Anschließend griff sie in ihre Jackentasche und legte einen dünneren Stapel zusammengefalteter Zettel auf das Paket.
»Wenn du etwas gegen die
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