Codex Alera 06: Der erste Fürst
wieder.
Sha ging zum Rand der Luke, stellte sich mittig in den Frachtraum und machte sieben lautlose Schritte direkt aufs Heck zu. Er wandte sich leicht nach rechts, machte noch zwei Schritte und langte dann nach oben, um die Finger an die Decke des Frachtraums zu legen. Er warf Marcus einen Blick zu, um sicherzugehen, ob der Aleraner die Stelle auch gesehen hatte.
Marcus nickte und huschte auf die bezeichnete Position. Sha drehte sich um und verschränkte die Finger, um mit den Händen eine Räuberleiter zu bilden. Marcus trat in den Griff des Cane und fand sich leicht angehoben, bis er die Decke in Canimhöhe berühren konnte. Er konzentrierte sich auf die Planken, kniff die Augen zusammen und zwang mit einem ruckartigen Ausbreiten der Hände die dünneren Decksplanken genauso auseinander wie zuvor den Schiffsrumpf. Sobald die Öffnung aufklaffte, hob Sha Marcus hoch, so dass er durchs Loch hinaufschoss. Der Gestank verfaulten Bluts und moschusartiger Canegeruch strömte ihm in die Nasenlöcher. Er landete auf einem Knie, orientierte sich rasch und sah einen mageren Cane mit rötlichem Fell an einem niedrigen Tisch hocken, auf dessen Platte ein Dutzend ledriger Pergamentrollen vor ihm ausgebreitet lag. Khral.
Marcus machte zwei schnelle Schritte und rammte Khral. Er überwältigte den Cane durch seinen Schwung und dank des Überraschungsmoments. Reißzähne kratzten über sein Gesicht, bis er eine harte Faust nach oben schnellen ließ und dem Cane so die Schnauze gerade in dem Augenblick zuschlug, in dem Khral zu einem Schrei ansetzte.
Umgeben von Holz und weit von der Erde unter sich entfernt hatte Marcus keine Möglichkeit, Vamma erneut zu rufen, um sich die Kraft des Elementars zu leihen. Infolgedessen war er im Handgemenge mit einem ausgewachsenen Cane tödlich im Nachteil. Er führte einen raschen, kräftigen Schlag gegen Khrals Kehle. Der Hieb war nicht einmal annähernd stark genug, um zum Tode zu führen, aber er verwandelte einen zweiten Versuch zu rufen in ein Krächzen; dann packte der Cane Marcus an der Rüstung und schleuderte ihn durch die halbe Kajüte.
Khral schaute sich hektisch um, bis sein Blick auf einen der hellen Lederbeutel fiel, wie alle Ritualisten sie trugen; er hing von einem Holzhaken an der Wand. Der Cane machte einen Sprung darauf zu.
Marcus hob eine Hand zu einem ruckartigen Winken und setzte damit Etan in Bewegung. Der Haken wackelte und ließ den Beutel genau in dem Moment fallen, als Khral nach der Schnur griff. Der Beutel traf mit einem Platschen auf den Boden, und Blutstropfen spritzten an die Wand.
Sha kam wie ein Aal, der aus seiner Höhle hervorschießt, durch das kleine Loch im Boden geglitten. Der Jäger flog in einem einzigen Sprung durch die Kajüte und landete auf Khral, der sich wehrte. Shas Arme vollzogen eine peitschende Bewegung, und Khrals Augen traten noch weiter hervor, als ein Lederband sich um seinen Hals zuzog. Sha zog Khral mit sich herunter und lehnte sich im Fallen zurück, um die Würgeschnur straff zu ziehen.
Marcus schritt durch den Raum und hängte den Beutel wieder an den Haken an der Wand. Er berührte sie und überredete Etan dazu, die gallertartigen Blutstropfen ins Holz aufzunehmen und tief in die Maserung zu ziehen, wo sie von der Oberfläche aus nicht zu sehen sein würden. Er wandte sich Sha zu, der die Würgeschnur festhielt und weiter mit gleicher Kraft zog, obwohl Khral schon vor mehreren Sekunden aufgehört hatte, sich zu bewegen.
Als Sha sah, dass Marcus fertig war, warf er einen Blick auf das Holz, nickte Marcus respektvoll zu und verdrehte die Schnur dann so, dass er sie mit einer Hand weiter um Khrals Hals geschlungen halten konnte. Er benutzte sie wie einen Bootshaken, schleifte den bewusstlosen Ritualisten hinüber zu dem Loch in den Bodenplanken und kehrte lautlos in den Frachtraum zurück.
Marcus legte mehrere Blätter des dünnen, bleichen Pergaments wieder auf den Tisch und kramte in seinem Gedächtnis, um sicherzugehen, dass er sie alle wieder an derselben Stelle ablegte, an der sie sich befunden hatten, als er hereingekommen war. Dann überprüfte er die Kajütentür, stellte fest, dass sie von innen verriegelt war, und kehrte schließlich zum Einstiegsloch zurück.
Marcus lächelte. Niemand im Ritualistenlager würde aus dem hier klug werden.
Als er gerade hinabsteigen wollte, sah er Khrals Koje und blieb stehen, um sie in fasziniertem Entsetzen anzustarren.
Auf dem Bett lag eine schwere Lederdecke, an der noch das
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