Codex Alera 06: Der erste Fürst
waren kaum halb voll, wenn nicht gar völlig leer. Hinter den Wagen stapften die Flüchtlinge aus Riva her, von denen viele aufgrund des Regens und des Mangels an Nahrung und Unterschlupf krank geworden waren. Legionen marschierten vor und hinter ihnen, obwohl es den einzelnen Legionares kaum besser ging als den Zivilisten.
Am hinteren Ende der Kolonne kam es weiterhin zu Kämpfen. Dort hatte Antillus Raucus das Kommando über die Verteidigung übernommen. Lautes, dumpfes Knallen in tiefen Tonlagen zeigte aleranisches Feuerwirken an. Blitze zuckten knisternd aus dem weinenden Himmel herunter, um im Umkreis ihrer Nachhut einzuschlagen. Die am wenigsten übel zugerichteten Legionen wehrten sich, unterstützt von der erschöpften Kavallerie, gegen den Ansturm des Feindes. Verwundete Männer wurden von hinten nach vorn gebracht und an überarbeitete Heiler in den Lazarettwagen weitergereicht. Mehrere der leeren Proviantwagen waren schon mit den Verwundeten gefüllt, die nicht mehr allein gehen konnten.
Ehren sah wieder nach vorn, zur phrygischen Legion, die in der Vorhut marschierte. Unmittelbar dahinter kam der Kommandostab mit den höchstrangigen Cives, einschließlich des verhängten Wagens, der den verwundeten Princeps Attis transportierte. Ehren nahm an, dass er im Prinzip jederzeit nach vorn zum Princeps hätte gehen können, um persönlich Meldung über den Stand der Versorgung zu machen. Wenn ihn das nebenbei auch noch für ein paar Augenblicke aus dem verfluchten Regen holte, wäre das ein glücklicher Begleitumstand.
Ehren seufzte. Es wäre als Ausrede vollkommen ausreichend gewesen, aber sein Platz war an der Spitze der Vorratskolonne. Außerdem war es das Beste, wenn Attis so selten wie möglich an Ehren ex Cursori erinnert wurde.
»Was glaubst du, wie weit noch?«, fragte Ehren den Fuhrmann neben ihm.
»Bisschen«, sagte der Mann lakonisch. Er trug einen breitkrempigen Hut, der den Regen abwies wie das Dach eines kleinen Gebäudes.
»Ein bisschen«, sagte Ehren.
Der Fuhrmann nickte. Er hatte auch einen wasserdichten Umhang. »Bisschen. Und dann noch ein Stückchen.«
Ehren musterte den Mann einen Augenblick lang unverwandt, seufzte dann und sagte: »Danke.«
»Gern geschehen.«
Galoppierende Pferde näherten sich: Ihre Hufe erzeugten ein gedämpftes Donnergrollen. Ehren schaute sich um und sah Graf und Gräfin Calderon auf sich zureiten. Der Graf trug einen Verband um den Kopf, und eine Hälfte seines Gesichts war von Prellungen übersät. Er sah aus, als ob ein blindwütiger Tuchmacher seine Haut harmonisch in einem besonders durchdringenden Purpurton gefärbt hätte. Die Gräfin wies ein paar leichtere Blessuren auf, Erinnerungsstücke aus dem Kampf mit der früheren Hohen Fürstin von Aquitania.
Sie und ihr Mann zügelten ihre Pferde, als sie auf einer Höhe mit Ehrens Wagen waren. »Ritter Ehren.«
»Gräfin.«
»Du siehst wie eine ertrunkene Ratte aus«, sagte sie und schenkte ihm ein schwaches Grinsen.
»Eine ertrunkene Ratte steht eine Stufe weiter oben«, sagte Ehren und nieste kräftig. »Puh. Wie kann ich dir helfen?«
Amara runzelte die Stirn. »Hast du irgendetwas über Isana gehört?«
Ehren schüttelte ernst den Kopf. »Tut mir leid. Es ist keine Nachricht eingetroffen.«
Der Gesichtsausdruck des Grafen von Calderon wurde bei diesen Worten trostlos, und er wandte den Blick ab.
»Exzellenz«, sagte Ehren, »meiner Meinung nach besteht aller Grund zu der Annahme, dass sie noch am Leben ist.«
Graf Calderon runzelte die Stirn, ohne die Blickrichtung zu ändern. »Warum?«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ehren zuckte mitleidig zusammen. Der geschwollene Kiefer des Grafen musste das Sprechen sehr schmerzhaft machen.
»Nun ja … Weil sie überhaupt entführt worden ist, Graf. Wenn die Vord sie tot sehen wollten, hätten sie sich nicht erst die Mühe gemacht, heimlich in ein bewachtes Gebäude einzudringen. Sie hätten sie auf der Stelle getötet.«
Graf Calderon brummte, runzelte abermals die Stirn und sah Amara an.
Sie nickte ihm zu und gab die Frage weiter, die sie ihm offensichtlich am Gesicht ablesen konnte. »Warum sollten sie sie lebend wollen, Ritter Ehren?«
Ehren schüttelte den Kopf. »Wir haben keine Möglichkeit, das herauszufinden. Aber die Vord haben sich viel Mühe gemacht, sie in die Hände zu bekommen. Wir können also hoffen, dass sie für den Feind wertvoll genug ist, um sie am Leben zu lassen. Zumindest bis jetzt. Es besteht
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