Codex Alera 06: Der erste Fürst
sein Horn. Einige der nächststehenden Flüchtlinge schrien auf und rannten in den zweifelhaften Schutz der Wagenburg. Andere sahen sie und folgten ihnen. Ehren hielt es sogar für durchaus möglich, dass einige von ihnen das Signal verstanden hatten. Er sah Dutzende der Flüchtlinge, die zu den Bäumen gerannt waren, zurückgelaufen kommen. Einige, aber nicht alle von ihnen. Ehren erschauerte. Jeder, der glaubte, dass der Wald Zuflucht vor den Vord bot, würde eine böse Überraschung erleben. Er hatte bereits mindestens ein Dutzend Fangschreckenkrieger zwischen die Bäume huschen sehen.
Die Legionen und die Vord prallten aufeinander, während Cives und Vordritter über ihnen im Regen hin und her sausten. Trommeln dröhnten, Menschen starben. Die aleranische Schlachtordnung war von völligem Chaos verschlungen worden, aber die Vord schienen keine derartigen Schwierigkeiten zu haben. Die absolute Zahl der Krieger, die sie durch die Lücke in der Reihe der Legion hatten schlüpfen lassen, war nicht zu beziffern – aber diese Vord, die wild in der Kolonne auf und ab eilten, hatten eine Wirkung auf die aleranischen Truppen, die in keinem Verhältnis zu ihrer Anzahl stand. Sie kreischten und rasten umher, schlugen aufs Geratewohl zu, wenn sich Ziele boten, und versetzten Menschen und Tiere gleichermaßen in Panik.
Es ertönten so viele Hornsignale, dass Ehren sie beim besten Willen nicht auseinanderhalten konnte und insgesamt nur ein bedeutungsloser Missklang zustande kam.
Und dann hörte Ehren die Trommeln.
Er hatte noch nie etwas Vergleichbares gehört – große, bassgestimmte, ozeantiefe Trommeln, deren Stimmen so leise grollten, dass man sie eher spürte als hörte. Aber wenn der Klang der Trommeln ihm auch fremd war, so war ihm doch vollkommen klar, was Ton und Rhythmus zu bedeuten hatten: Ihre Stimmen waren zornig.
Vielleicht dreißig Fangschreckenkrieger kamen als zusammenhängendes Rudel auf den Wagenkreis zugerannt: Sie verfolgten eine Reihe schreiender Flüchtlinge, die vergeblich auf ihre Gefährten zuliefen. Die Vord hieben sie auf der Flucht nieder, und das trotz der Bemühungen einer zusammengewürfelten Reitertruppe aus den Legionen dreier verschiedener Städte, die versuchte, die Vord von den aleranischen Zivilisten abzudrängen.
»Speere!«, schrie Ehren, und Fuhrleute und Kutscher begannen, Speere aus ihren Halterungen an der Seite des Wagens zu ziehen. Sie bewaffneten sich und gingen dann daran, die überzähligen Speere an jeden kampfwilligen Flüchtling weiterzureichen, so dass die Wagenburg plötzlich vor kriegerischen Dornen starrte.
Die fangschreckengestaltigen Vord stießen Schreie begierigen Hungers aus, und das vorderste machte einen Satz in die Luft und kam mit ausgestreckten Gliedmaßen näher. Ehren konnte es auf sich zufallen sehen und hatte gerade noch Zeit, seinen Speer auf dem Wagenboden abzustützen und sich dann darunter zu kauern. Das Vord landete auf dem Speer, der sich den Weg durch den Bauchpanzer der Kreatur freischlug und teilweise aus dem Rücken hervordrang. Das Vord jaulte vor Schmerz auf und schlug heftig mit den Beinen um sich. Eine Sichel kam durch den Wagenbogen herabgesaust. Der kauernde Ehren bekam mehrere Schläge gegen Schultern und Seiten – und dann brüllte der Fuhrmann auf und stieß das Vord, in dem immer noch Ehrens Speer steckte, von Ehren hinunter und auf die Erde außerhalb der Wagenburg.
Ehren packte die erstbeste Waffe, die zur Hand war, einen Jutesack voller Rüben. Als ein weiteres Vord versuchte, auf den Wagen zu klettern, wirbelte er den Gemüsesack durch die Luft und schlug ihn dem Vord kräftig ins Gesicht. Sein Hieb fügte dem Fangschreckenkrieger keinen Schaden zu, lenkte die Kreatur aber so lange ab, dass der Fuhrmann sie mit einem Holzstück von beträchtlicher Größe treffen konnte – es handelte sich dabei, wie Ehren aufging, um den Griff der Wagenbremsen. Das Vord taumelte unter dem Schlag rückwärts, schüttelte den Kopf und stolperte wie betrunken auf seinen schlanken Beinen davon.
Und die Trommeln wurden lauter.
Ehren war sich nicht sicher, wie viel Zeit bei diesem verzweifelten Kampf im Regen verging. Er bemerkte, dass Legionares sich nach außen gewandt zu mehreren hohlen Rechtecken formiert hatten, so dass Gruppen von Flüchtlingen Schutz hinter einer Mauer aus Muskeln und Stahl suchen konnten. Weitere Legionares waren unterwegs, aber zumindest für den Augenblick war die Wagenburg auf sich allein gestellt.
Zwei Mal
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