Codex Alera 06: Der erste Fürst
aufeinander abstimme und eine vernünftige Vorgehensweise festlege. Das kann ich von diesem Wagen aus fast so gut wie vom Pferd.«
Ehren runzelte die Stirn und schaute zu Fürstin Placida hoch.
Sie zuckte mit der Schulter. »Sofern er klar bei Verstand bleibt, hat er, glaube ich, Recht. Er ist das Beste, was wir haben, wenn taktische und strategische Entscheidungen gefragt sind, sein Stab ist schon vorhanden, und Struktur und Methoden sind längst eingespielt. Wir sollten Gebrauch machen von seinen Fähigkeiten.«
Bist du sicher, dass es nicht eher um ein »Aufbrauchen« geht, verehrte Fürstin? , dachte Ehren. Ihr beiden könnt einander doch nicht ausstehen.
Nicht, dass Ehren das Recht gehabt hätte, mit Steinen zu werfen. Er holte tief Atem und hütete lieber seine Zunge. »Ich … verstehe. Hoheit, Graf und Gräfin Calderon sind zu mir gekommen. Sie bitten dringend um die Erlaubnis, mit dir zu sprechen. Es geht darum, wie die Verteidigungsanlagen des Calderon-Tals am besten eingesetzt werden können.«
»Die Ruchlosen finden keinen Frieden«, murmelte Attis. »Ja, ich nehme an, sie haben Recht. Bitte schick sie herein, Ritter Ehren.«
Ehren neigte den Kopf. »Wie du wünschst.«
Einer der Legionares in der Nachhut brach zusammen, als die lange Kolonne aus Flüchtlingen und Soldaten schon in Sichtweite des Zugangs zum Calderon-Tal war. Sofort stürmten Vordkrieger in die Bresche in der aleranischen Verteidigung und hielten nicht einmal inne, um anzugreifen. Sie drängten nur in immer größerer Anzahl vorwärts, in die Schwachstelle der durchbrochenen aleranischen Linie.
Ehren begriff, was geschehen war, als er hörte, wie die Flüchtlinge zu schreien begannen.
Er stellte sich auf den Kutschbock und starrte zurück nach hinten. Sie bewegten sich gerade einen sanften Abhang hinauf, und er konnte deutlich sehen, wie die fangschreckenartigen Krieger sich von rechts und links durch die Kolonne drängten und die Sichelarme schwangen, um Blut und Tod auf die Verteidiger regnen zu lassen. Hörner schmetterten wild. Legionares , die an den Flanken der Kolonne marschierten, formierten sich, um den Feind zum Kampf zu stellen.
Die Vord führten nicht ihren üblichen, schaurig eifrigen Angriff durch. Sie blieben ständig in Bewegung, sogar wenn sie einen schlecht gezielten Hieb führten. Die Verluste waren weitaus geringer, als sie hätten sein können – aber schon die Anwesenheit der kreischenden Kreaturen allein unter den Zivilisten richtete etwas weit Tödlicheres an. Verängstigte Flüchtlinge stoben auseinander und rannten in den Schutz des Waldes.
Hörner ertönten zur Antwort aus der Vorhut, und der Hohe Fürst Phrygius ließ seine Legion auf der Stelle kehrtmachen, um mit doppelter Geschwindigkeit in die Schlacht zurückzumarschieren. Einen Augenblick später sprangen mehrere Gestalten vom Kommandowagen aus in die Luft. Ehren glaubte, die Placidas, den alten Cereus und jemanden, bei dem es sich durchaus um Gräfin Amara handeln konnte, zu erkennen. Die Hohen Fürsten und die Fürstin wandten sich nach Westen. Die einsame Fliegerin hielt sich östlich und schoss davon wie ein Pfeil vom Bogen.
»Sammeln!«, schrie Ehren. »Blast hier zum Sammeln! Holt diese Leute aus dem Wald!«
Der Fuhrmann auf dem Wagen tastete einen Moment lang an seinem Stierhorn herum, hob es dann an den Mund und blies drei lange, erstaunlich wohlklingende Töne, bevor er eine Pause einlegte und danach den Vorgang wiederholte. Die Wagen beeilten sich sofort, Ehren einzuholen, und bildeten eine Zweierreihe, um auf so wenig Raum wie nur möglich zusammenzurücken, während die Erste Phrygische Legion vorüberzog. Sobald sie vorbei war, beendeten Ehren und sein Kutscher das Manöver, und die Karren fuhren von der Straße hinunter, um sich zu einem gewaltigen Kreis zu formieren, einer behelfsmäßigen Festung mit wenig beeindruckenden Holzwänden.
Die Flüchtlinge waren wiederholt darin unterwiesen worden, wie sie auf bestimmte Hornsignale reagieren mussten, wenn ein Augenblick wie dieser eintrat. Es hatte wahrscheinlich nur sehr wenig genützt. Sogar ganz einfache Aufgaben waren unter den Bedingungen einer tatsächlich lebensbedrohlichen Situation manchmal schwierig oder unmöglich. Deshalb wurden Soldaten endlos ausgebildet und gedrillt – damit sie, wenn sie wie betäubt vor Entsetzen waren, dennoch alles tun konnten, was sie tun mussten.
Sobald die Wagen angehalten hatten, blies der Fuhrmann noch einmal das Signal zum Sammeln in
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