Codex Alera 06: Der erste Fürst
erhellt, die Hunderte weiterer Vord in Brand setzte.
Aber sie wurden nicht langsamer.
Bernard sah noch eine Weile zu, bis jede Schützenmannschaft in Sicht von der Mauer hinunter in ihre zweite Stellung abgezogen war. Die Legionares kämpften erbittert weiter, warfen den Feind mit Schwert und Schild, Speer und Elementar hinab.
»Irgendein Signal?«, fragte er Amara.
Amara ließ den Blick über den Himmel schweifen. Es war unmöglich, außerhalb des Scheins der Elementarlampen auf der Mauer auch nur die Sterne am mondlosen Himmel zu sehen. »Noch nicht«, meldete sie.
Bernard brummte. »Was ist mit der Truppenreserve?«
Amara sah in beide Richtungen die Mauer entlang, um die auffällig gefärbten Elementarlampen zu erspähen, die man benutzte, um Botschaften zu übermitteln. Ein aufblitzendes blaues Licht hätte darauf hingewiesen, dass jemand die von Invidia beschriebenen spezialisierten Truppen entdeckt hatte.
»Noch nicht«, sagte Amara.
Bernard nickte und beobachtete weiter die Schlacht, ungerührt und anscheinend unbesorgt.
Amara wusste, dass es eine Maske war, um der Soldaten willen, und sie versuchte, dazu beizutragen, indem sie sich genauso ruhig und unbewegt wie ihr Mann gab – aber trotz ihrer Bemühungen biss sie sich auf die Lippen, als sie sah, wie ein junger Legionare , kaum mehr als ein Junge, von den Sicheln einer Fangschrecke gepackt und schreiend in den Schwarm darunter geschleudert wurde. Seine Waffengefährten hackten das dafür verantwortliche Vord in zuckende Stücke – aber sie kamen zu spät für den Jungen. Verwundete wurden von den Feldheilern alle paar Sekunden von der Mauer getragen. Wieder einmal standen die Marat und ihre Garganten bereit, warteten geduldig, während Dutzende von Verletzten in die Traggeschirre geladen wurden, drehten sich dann um und trotteten in Richtung Kaserna.
»Das wird eng«, murmelte Bernard. »Sie bedrängen uns heftiger als zuvor.«
»Sollten wir zum Rückzug blasen?«
Bernard stand ruhig da, sah auf die Schlacht hinab und ließ sich seine Besorgnis nicht im Gesicht oder in seiner Körpersprache anmerken. »Noch nicht. Wir müssen es wissen.«
Amara nickte wieder und rang darum, äußerlich die Fassung zurückzugewinnen. Es fiel ihr schwer. Ruhe und Beherrschung angesichts persönlicher Gefahr waren etwas, worin sie ausgebildet worden war, etwas, worauf sie sich verstand. Zuzusehen, wie andere im Todeskampf schreiend davongetragen wurden – oder, noch schlimmer, in völliger Stille starben –, um den Plan auszuführen, bei dessen Erstellung und Ausarbeitung sie mitgeholfen hatte, war etwas ganz anderes. Darauf war sie nicht vorbereitet gewesen. Sie hatte nicht die geringste Begabung im Wasserwirken und war damals an der Akademie, als sie sehr geübt hatte, kaum in der Lage gewesen, Wasser über den Boden einer flachen Pfanne rollen zu lassen. Jetzt wünschte sie sich, sie hätte sich damals noch mehr angestrengt. Sie hätte alles darum gegeben, in der Lage zu sein, das Entsetzen, das auf sie einhämmerte, zu empfinden, ohne fürchten zu müssen, dass der Anblick von Tränen auf ihrem Gesicht alles nur noch schlimmer machen würde.
Sie ballte stattdessen die Fäuste und unterdrückte das Gefühl. Später. Sie konnte sich später gestatten, es zu empfinden, das versprach sie sich – dann, wenn Anzeichen von Panik beim Kommandostab der Moral der Legionares keine klaffenden Wunden mehr reißen würden.
Sie wusste nicht, wie lange sie sich dort aufrecht hielt, starr und still. Sicher nur Augenblicke, aber sie fühlten sich wie Stunden an – albtraumhafte Stunden, die plötzlich von einem fernen Knistern und Knallen aus dem Nachthimmel über ihnen durchbrochen wurden.
Amara schaute ruckartig auf und sah Feuerkugeln in grasgrüne, eisblaue und kaltpurpurne Bälle aufblühen. Schwarze Silhouetten huschten wie schwärmende Motten zwischen den brennenden Kugeln hin und her – Vordritter, Tausende von ihnen. »Bernard!«
Bernard sah erst sie an, dann nach oben, grinste dann plötzlich, und die Explosion einer neuen massiven Salve von den Onagern hüllte sein Gesicht in eine wilde, beinahe blutrünstige Mischung aus Licht und Schatten. »Sie versuchen, sich über die Mauer zu schleichen und die Onager im Dunkeln auszuschalten, wenn wir sie nicht kommen sehen können«, sagte er. »Aber die Placidas und die Leute aus dem Norden haben sie rechtzeitig entdeckt.« Er schürzte einen Moment lang die Lippen und sagte dann: »Ich bin froh, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher