Codex Alera 06: Der erste Fürst
hören.«
Er hielt inne, um Atem zu holen, die Beherrschung zu wahren und sicherzugehen, dass sein Gesichtsausdruck und seine Körpersprache ruhig waren. Angesichts der Tragweite dessen, was er gleich erläutern würde, kam es nicht infrage, die anderen merken zu lassen, wie aufgeregt er war. Und es kam auch nicht infrage zuzulassen, dass die Canim ihn unter irgendwelchen Umständen nervös erlebten.
»Die Vord haben Alera bereits angegriffen«, sagte Tavi. »Die erste Angriffswelle wurde zurückgeschlagen, aber nicht gebrochen. Ceres ist gefallen, ebenso Alera Imperia. In der Zeit, die wir damit verbracht haben, nach Hause zu segeln, könnten noch weitere Städte gefallen sein.«
Grabesstille senkte sich über die Schiffskajüte.
Nasaug wandte den mit dunklem Pelz bewachsenen Kopf Varg zu. Der Kriegsführer der Canim zuckte mit einem Ohr und hielt die blutroten Augen weiter auf Tavi gerichtet.
»Darüber hinaus«, fuhr Tavi fort, »ist der Erste Fürst, mein Großvater, Gaius Sextus, gefallen, als er der Bevölkerung der Hauptstadt mit einem Abwehrkampf die Gelegenheit zur Flucht verschafft hat.«
Niemand sprach, aber ein Aufstöhnen, das ungläubiges Entsetzen verriet, erklang auf der Seite der anwesenden Aleraner. Tavi wollte seinen Tonfall nicht so knapp und geschäftsmäßig halten. Er wollte seine Empörung und seinen Kummer darüber herausschreien, dass die Vord ihm seinen Großvater genommen hatten, bevor er Gelegenheit gehabt hatte, Sextus besser kennenzulernen. Aber sein Zorn würde nichts ändern, ganz gleich, wie heiß er brannte.
Tavi drängte durch das Schweigen voran: »Das Amaranth-Tal ist zur Gänze verloren. Die Vord haben Aleraner in ihre Dienste gepresst, und jetzt trifft in der Schlacht Elementarwirken auf Elementarwirken. Darüber hinaus sind die meisten Dammstraßen unterbrochen worden, um zu verhindern, dass die Vord sie nutzen, also können wir sie nicht in unsere Planung mit einbeziehen.« Er wandte sich einer Karte von Alera zu, die an die Rückseite der Kajütentür geheftet war. Die Ausbreitung des Kroatsch war mit kleinen Strichen grüner Tinte markiert. »Wie ihr sehen könnt, haben die Vord das Tal überschwemmt, und ihr Kroatsch hat sich entlang der Dammstraßen ausgebreitet. Obwohl diese ihrer Elementarkraft beraubt worden sind, bleiben sie immer noch gangbare Straßen. Die Vord halten einen Großteil der Küstenlinie des Kontinents und belagern die meisten Städte des Reichs. Aber sie haben es nicht vollkommen im Griff. Diese Landstriche zwischen dem Verlauf der Dammstraßen und den Städten sind noch unbesetzt, wahrscheinlich, weil die Vord diesen Gebieten geringere Bedeutung zumessen. Unsere Leute sind allerdings abgeschnitten. Jeder, der jenseits der Linien des Kroatsch eingeschlossen ist, sitzt in der Falle. Unseren besten Schätzungen nach bleiben uns höchstens noch acht bis zehn Monate, bevor das Kroatsch auch die unbesetzten Gebiete füllt.« Er wandte sich mit einem kalten, kleinen Lächeln den anderen zu. »Das also ist unsere Zeitspanne, um die Vord zu vernichten.«
»Verfluchte Krähen«, hauchte Max. »Na, wenn das mal keine zu schwierige Aufgabe ist …«
»Wir haben eine Menge Arbeit vor uns«, räumte Tavi ein.
Crassus hob die Hand. Max’ jüngerer Halbbruder sah ihm ähnlich; aber in jeglicher Hinsicht, in der Max ungehobelt war, war der schlankere junge Mann kultiviert. Crassus war einen Zoll kleiner und dreißig Pfund Muskeln leichter als sein Bruder, und er hatte das edle Profil eines Civis von edler Abstammung, das geradewegs von allen möglichen alten Statuen, Gemälden oder Münzen hätte stammen können. »Wenn der Erste F… Wenn Sextus bei einem Abwehrkampf gefallen ist, dann deutet das darauf hin, dass es noch organisierten Widerstand gab. Und dass es ihn vielleicht immer noch gibt. Was wissen wir über die Legionen und ihre Stärke?«
»Aquitanius Attis, der Gaius auf sein Verlangen hin als Feldherr gedient hat, ist ins Haus Gaius adoptiert worden – als mein jüngerer Bruder.«
Max schnaubte. »Er ist dreißig Jahre älter als du.«
Tavi lächelte leicht. »Nicht laut Gaius Sextus. Es scheint, dass er wusste, dass sein Tod bevorstand. Er wusste nicht, ob ich zurückkehren würde, und jemand musste in meiner Abwesenheit das Reich führen. Er hat den Mann ausgewählt, der für diese Pflicht am besten geeignet war.« Tavi legte die Spitzen seines Zeige- und Mittelfingers gespreizt auf Riva und Aquitania. »Je nachdem, in welcher Verfassung
Weitere Kostenlose Bücher