Codex Alera 06: Der erste Fürst
sich genommen.
Im Mittelpunkt des Wasserbeckens erhob sich ein Block aus schwarzem Basalt. Darauf lag eine blasse Gestalt, eine Statue aus reinstem weißen Marmor, und Tavi starrte das Bildnis seines Vaters an. Septimus’ Augen waren geschlossen, als schliefe er, und er lag mit auf der Brust über dem Schwertgriff gefalteten Händen da. Er trug einen üppigen Mantel, der ihm über eine Schulter herabhing, und darunter den kunstvoll gearbeiteten Brustpanzer eines recht prunkliebenden Legionsoffiziers statt der Lorica in Standardausführung, wie Tavi sie anhatte.
Am Fuße des bahrenförmigen Grabmals seines Vaters hockte zusammengesunken die Vordkönigin.
Sie blutete aus mehr Wunden, als Tavi zählen konnte, und das Wasser um sie herum war nicht kristallklar, sondern hatte die dunkelgrüne Färbung eines lebenden Teichs angenommen. Sie war in völliger Erschöpfung zusammengesackt. Ein Auge fehlte, und auf der entsprechenden Seite war ihr einst schönes Gesicht von den Krallen der Windmähnen in Fetzen gerissen worden.
Das andere Auge, das noch immer schwarz funkelte, blickte auf Tavi. Die Vordkönigin erhob sich, das Schwert in der Hand.
Tavi blieb am Rande des Wasserbeckens stehen und wartete, während er den Griff fester um das Heft seiner eigenen Waffe schloss.
Die beiden sahen einander an und sagten nichts. Das Schweigen zog sich in die Länge. Das Toben des Sturms draußen war etwas Fernes, Ohnmächtiges. Licht flackerte durch die kristallenen Wände.
»Ich hatte Recht«, sagte die Königin mit bleischwerer, heiserer Stimme. »Den Bindungen zwischen euch wohnt Kraft inne.«
»Ja«, sagte Tavi schlicht.
»Meine Tochter, die im fernen Canea lebt … wird das nie verstehen.«
»Nein.«
»Ist es nicht seltsam? Obwohl ich weiß, dass ihre Unfähigkeit, das zu begreifen, eine Schwäche darstellt … obwohl ich weiß, dass sie mich töten würde, sobald sie mich sieht, will ich, dass sie lebt. Und gedeiht.«
»Gar nicht seltsam«, sagte Tavi.
Die Königin schloss ihr Auge und nickte. Sie öffnete es wieder, und ihr lief eine Träne übers Gesicht. »Ich habe versucht zu sein, was ich sein sollte, Vater. Es war nie persönlich gemeint.«
»Darüber sind wir jetzt hinaus«, sagte Tavi. »Es endet hier und jetzt. Das weißt du.«
Sie war einen Augenblick still, bevor sie sehr leise fragte: »Wirst du mich leiden lassen?«
»Nein«, sagte er so sanft er konnte.
»Ich weiß, wie eine Vordkönigin stirbt«, flüsterte sie. Sie hob das Kinn, und ein gespenstischer Schatten von Stolz legte sich über sie. »Ich bin bereit.«
Tavi neigte ganz leicht vor ihr den Kopf.
Ihr Lauf ließ Wasser aufspritzen, und sie stürmte mit jedem Quäntchen Schnelligkeit und Kraft auf ihn zu, das ihrem zerstörten Körper noch innewohnte. Selbst so übel zugerichtet war sie noch schneller als jeder Aleraner, stärker als ein Graslöwe.
Gaius Octavians Klinge traf in einem einzigen klirrenden Geräusch auf die der Vordkönigin. Ihr Schwert barst in einem Regen aus blauen und scharlachroten Funken.
Er führte einen einzigen sauberen, blitzschnellen Hieb.
Und der Vordkrieg war vorüber.
57
Der Wind hatte so heftig aufgefrischt, dass den Rittern Aeris, die Fidelias sich ausgeliehen hatte, die Arbeit auszugehen begann. Die Bedingungen waren einfach zu ungünstig, als dass die Vordritter in der Luft hätten bleiben können, besonders, als auch noch eine Mischung aus kaltem Regen und Graupel herabzuströmen begann. Schon zuvor hatte der Wetterumschwung den Hexernebel der Canim in Fetzen gerissen, und Fidelias hatte von seinem Aussichtspunkt auf dem Scheunendach einen hervorragenden Blick auf die Größe der Streitmacht, die sie angriff.
Es waren keine dreißigtausend Vord. Es waren eher fünfzigtausend.
Kein einfacher Graben hätte den Legionen echte Erfolgsaussichten gegen ein Heer verschaffen können, das so eindeutig in der Überzahl war. Oh, wenn sie gegen Marat, Eismenschen und sogar Canim gekämpft hätten, hätte es vielleicht ein Fünkchen Hoffnung gegeben. Die Disziplin der Legionen angesichts äußerst ungünstiger Zahlenverhältnisse war weniger fachmännischer Übung als einer Art von ansteckendem Wahnsinn geschuldet, besonders in einer kampferprobten Einheit wie der Ersten. Sie würde vielleicht bis auf den letzten Mann niedergemetzelt werden, aber sie würde nicht nachgeben. Die Tatsache allein war genug, um die Entschlossenheit jedes vernunftbegabten Feinds zu zermürben.
Aber die Vord waren nicht
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