Codex Alera 06: Der erste Fürst
rückwärts zu machen. Veradis hingegen wich tatsächlich vor ihm zurück. »Und ich nehme an«, sagte er, »ihr wollt, dass ich helfe.«
Amara sah den jungen Mann milde an. »Es scheint wirklich nicht dein Abend zu sein, Ritter Ehren.«
»Bei den Krähen«, sagte er müde. Sein Ton verriet ihr seine Erschöpfung. Er verbarg sie ansonsten gut, aber Amara konnte seinem jungen Gesicht trotzdem die Zeichen der Anspannung ansehen. Wenn er auch nur ein wenig älter gewesen wäre, dann hätten die vergangenen Wochen ihn, wie sie annahm, um zehn Jahre altern lassen. Für einen Moment schloss er die Augen und holte tief Luft. Die Veränderung, die mit ihm vorging, war beinahe magisch. Sein Gesichtsausdruck wurde wieder milde, seine Haltung schüchtern, beinahe unterwürfig. »Ich bin mir nicht sicher, wie du auf irgendetwas vertrauen könntest, das ich unternehme, um dir zu helfen, Gräfin.«
»Das kann sie auch nicht«, sagte Veradis leise und trat einen Schritt näher an den jungen Mann heran, wobei sie die Hand ausstreckte. »Aber ich könnte es.«
Ehren musterte Veradis. Die Fähigkeit einer geübten Wasserwirkerin, Wahrheit und Lüge bei einem anderen wahrzunehmen, erschwerte ein Täuschungsmanöver – und war doch, wenn man zu unbefangen darauf vertraute, selbst ein Quell neuerlicher Täuschung. Als jemand, der sich im Laufe der Jahre zu einem Meister in dieser besonderen Disziplin herausgebildet hatte, betrachtete er sie wahrscheinlich mit fast so viel Misstrauen und Argwohn wie Amara.
»Wie könnte das denn dem Reich irgend schaden, Kursor?«, fragte Veradis und lächelte leicht.
Ehren nahm misstrauisch ihre Hand. »Na gut.«
»Eine Frage«, sagte Veradis ruhig. »Wem dienst du?«
»Dem Reich, dem Volk von Alera und dem Haus Gaius«, antwortete Ehren sofort. »In dieser Reihenfolge.«
Veradis lauschte, den Kopf leicht zu einer Seite geneigt. Als der junge Mann sprach, erschauerte sie ein wenig, zog die Hand zurück und nickte Amara zu.
»Mir fällt auf«, sagte Amara trocken, »dass deine Auswahl an Loyalitäten nicht der an der Akademie üblichen entspricht, Kursor.«
In Ehrens mildem Blick blitzte etwas Hartes auf, und er setzte dazu an, etwas zu sagen, schien es sich dann aber anders zu überlegen. Dann sagte er: »Man sollte nicht vergessen, dass es im Augenblick zwei Abkömmlinge des Hauses Gaius im Reich gibt. Ich arbeite mit dem, der tatsächlich hier ist.«
Amara nickte. »Isana wurde aus dem Gasthaus …«
»Ich weiß, wo sie gewohnt hat«, sagte Ehren. »Und ich kenne die Sicherheitsmaßnahmen zu ihrem Schutz. Ich habe sie selbst veranlasst.«
Amara zog eine Augenbraue hoch. Wenn das der Fall war, dann hielt sie es für wahrscheinlich, dass Ehren Aquitanius als Nachrichtendienstminister diente – dass er tatsächlich den Geheimdienst dessen leitete, was vom ganzen Reich noch übrig war.
Er beobachtete ihre Reaktion und verzog das Gesicht. »Gaius hat mich mit seinen letzten Briefen zu Aquitanius geschickt. In ihnen hat er mir befohlen, ihm nach bestem Gewissen zu dienen oder ihn darüber zu unterrichten, dass ich das nicht tun könnte, mich zurückzuziehen und ihm keinen Schaden zuzufügen. Und er hat mich Aquitanius als den vertrauenswürdigsten Kursor empfohlen, den er zu dem Zeitpunkt an ihn weiterreichen könnte.«
Amara verspürte bei diesen Worten einen Stich in der Brust.
Aber Gaius hatte ihr ja auch wirklich nicht vertrauen können. Sie war von ihrem Eid zurückgetreten. Vielleicht aus gutem Grund, aber die Tatsache blieb bestehen, dass sie seinen Dienst freiwillig verlassen hatte.
»Das galt nebenbei bemerkt auch für Sextus’ Leibarzt«, sagte Ehren. »Nicht, dass Aquitanius einen braucht, aber man weiß ja nie. Er muss hier irgendwo in der Nähe sein.« Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, ich schweife ab. Es geht einfach zu viel vor.« Er kniff die Augen zusammen und sagte: »Richtig. Die Erste Fürstin. Der Angriff muss aus der Luft erfolgt sein. Jede andere Herangehensweise hätte zu viel Vergeltung von Seiten der Elementare, die das Gasthaus bewachen, herausgefordert.«
»Wie können sie das überhaupt bewerkstelligt haben?«, fragte Veradis.
»Unsere Elementarkräfte sind begrenzt«, sagte Ehren; seine Stimme hatte einen leicht scharfen Unterton. »Der Feind verfügt ebenfalls über Elementarkräfte. Deshalb haben wir nur eine begrenzte Zahl von Elementarwirkern als Wachen abgestellt. Und von denen kümmert sich der Großteil um den Schutz der
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