Codex Alera 06: Der erste Fürst
schwebte. »Ach so. Sie ist hier, um … Äh, es gibt eine besondere Mission für euch alle, und ihr werdet sie ausführen.«
Amara sah sich im Zelt um. Sie kannte einige der Männer und Frauen darin von früher, aus der Zeit ihrer Abschlussprüfung an der Akademie. Aus der Zeit, bevor ihr Mentor sie verraten hatte. Aus der Zeit, bevor der Mann, dessen Unterstützung sie ihr Leben zu weihen geschworen hatte, dasselbe getan hatte. Es waren die Windwölfe – Söldner, die seit langem von den Aquitanias bezahlt wurden. Sie standen im Verdacht, bei allerlei zweifelhaften Unternehmungen die Hand im Spiel zu haben, und obwohl Amara es nicht beweisen konnte, war sie überzeugt, dass sie im Zuge der verschiedenen Intrigen ihrer Dienstherren zahlreiche Aleraner getötet hatten.
Sie waren allesamt gefährliche Männer und Frauen, sehr begabt im Elementarwirken und als Luftgeschwader bekannt, als käufliche Ritter.
»Hallo, Aldrick«, sagte Amara ruhig und sah dem Mann ins Gesicht. »Die Kurzfassung lautet wie folgt: Von nun an arbeitest du mit mir zusammen.«
Seine Augenbrauen schossen hoch, während sein Blick zu Ehren wanderte.
Der kleine Mann nickte und lächelte mit einem kurzsichtigen Ausdruck im Gesicht. »Ja, das trifft zu. Sie wird euch alles erzählen, was ihr wissen müsst. Es ist sehr wichtig; leider habe ich noch andere Botschaften zu überbringen, also … Waidmannsheil.« Ehren nickte und trabte unter gemurmelten Entschuldigungen aus dem Zelt.
Aldrick verzog das Gesicht und sah ihm nach; dann musterte er Amara und steckte einige Augenblicke darauf sein Schwert weg. Erst danach senkten die anderen im Zelt ihre Waffen und schoben sie in die Scheide.
»In Ordnung«, sagte er und betrachtete Amara angewidert. »Was ist das für eine Aufgabe?«
Odiana starrte sie mit einem Ausdruck an, den Amara nur als böswillige Schadenfreude beschreiben konnte. Ihr Lächeln war verstörend.
»Das Übliche«, sagte Amara und lächelte, als ob ihre Eingeweide nicht die letzten paar Augenblicke damit verbracht hätten, vor Angst zu flattern und sich zu verdrehen. »Es geht um eine Befreiung.«
13
»Du hast das Essen kaum angerührt«, sagte Kitai leise.
Tavi schaute zu ihr hoch, und Schuldbewusstsein durchzuckte ihn. »Ich …« Der Anblick Kitais in ihrem grünen Kleid traf ihn sogar noch heftiger, und er verlor den Überblick darüber, was er eigentlich hatte sagen wollen.
Dem Seidenkleid gelang es, der Sittsamkeit Genüge zu tun, obwohl es zugleich jeden der schönen Vorzüge der jungen Frau zur Schau stellte. Da sie ihr helles Haar in einem eleganten Knoten auf dem Kopf hochgesteckt trug, ließ der recht tiefe Ausschnitt des Kleids ihren Hals so lang und zierlich wirken, dass es der sehnigen Kraft spottete, die, wie er wusste, darin steckte. Es ließ auch ihre Schultern und Arme frei, und im Schein der gedämpften Elementarlampen in dem Pavillon, den er auf einer Klippe oberhalb der bewegten See hatte aufstellen lassen, wirkte ihre blasse Haut glatt und makellos.
Die in Silber gefassten Smaragde, die sie um den Hals, auf einem spinnwebfeinen Diadem und an den Ohren trug, glitzerten im Licht und funkelten vor winzigen inneren Feuern. Ein unauffälliges Feuerwirken war irgendwann in der Vergangenheit von einem meisterlichen Handwerker in sie eingearbeitet worden. Das zweite Feuerwirken, das mit ihnen einherging – eine Atmosphäre der Erregung und Freude –, umfing Kitai wie ein zartes, unauffälliges Parfüm.
Sie hob herausfordernd eine helle Augenbraue, während ihre Lippen sich zu einem Lächeln verzogen, und wartete auf eine Antwort.
»Vielleicht«, sagte Tavi, »habe ich Appetit auf etwas anderes als das Abendessen bekommen.«
»Es gehört sich nicht, den Nachtisch vor dem eigentlichen Essen zu verspeisen, Hoheit«, murmelte sie. Sie führte eine Beere an die Lippen und sah ihm in die Augen, während sie sie aß. Ganz langsam.
Tavi zog in Erwägung, mit einer Armbewegung die Tischplatte abzuräumen, Kitai darüber hinweg in seine Arme zu ziehen und herauszufinden, wonach diese Beere schmeckte. Die Vorstellung kam ihm so verlockend vor, dass er die Hände unwillkürlich an die Armlehnen seines Stuhls hob.
Er holte noch einmal tief Atem, genoss das Bild vor seinem geistigen Auge und das Verlangen, das ihn durchströmte. Dann sortierte er nach kurzem Ringen auseinander, welche Einfälle von ihm selbst stammten und welche von ihr. »Du«, sagte er anklagend, wobei seine Stimme viel tiefer und heiserer
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