Codex Alera 06: Der erste Fürst
Eis zu bedecken. Die Eismenschen aber sehr wohl. Dort war Kitai die letzten paar Tage über. Ihre Häuptlinge kommen gut mit ihrem Vater aus.«
Marcus schüttelte langsam den Kopf. »Nach all den Jahren voller … Da haben sie sich bereiterklärt, dir zu helfen?«
»Die Vord bedrohen uns alle, Erster Speer.« Er hielt inne. »Und … Ich habe ihnen einen Anreiz verschafft.«
»Du hast sie bezahlt ?«
»In Grundbesitz«, antwortete Octavian. »Ich gebe ihnen die Schildmauer.«
Marcus begann, sich etwas schwach auf den Beinen zu fühlen. »Du … Du …«
»Ich brauchte ihre Hilfe«, sagte der Hauptmann schlicht. »Sie ist schließlich im Besitz der Krone.«
»Du … Du hast ihnen …«
»Wenn die Sache hier vorbei ist, kann ich sie, glaube ich, dazu bringen, sie an uns zu vermieten.«
Marcus’ Herz machte wahrhaftig unregelmäßige Sprünge. Er fragte sich, ob es der Anfang eines Herzanfalls war. »Vermieten, Hauptmann?«
»Warum nicht? Es ist ja nicht so, als ob sie viel Verwendung dafür hätten, abgesehen davon, uns auf Abstand zu halten. Wenn wir sie mieten, werden wir für die Erhaltung verantwortlich sein, wozu sie ohnehin nicht in der Lage wären. Es wird eine greifbare, feststehende Grenze zwischen uns geben, was vielleicht hilft, die Spannung auf beiden Seiten zu lindern, sofern wir Zwischenfälle vermeiden können. Und da es ihr eigener Besitz ist, der ihnen Einkünfte einbringt, gehe ich davon aus, dass es künftig weitaus unwahrscheinlicher ist, dass sie allwöchentlich einen Versuch unternehmen, ihn zu zerstören.«
»Das ist … Hauptmann, das ist …« Marcus wollte »wahnsinnig« sagen. Oder vielleicht »lächerlich«. Aber …
Aber ein Schneesturm überzog das Land mitten an einem Frühlingstag mit Eis.
Der analytische Teil von Marcus’ Verstand sagte ihm, dass die Logik hinter dem Plan nicht ganz von der Hand zu weisen war. Wenn er keinen Erfolg hatte, würde das Reich auf lange Sicht gewiss nicht schlechter dastehen als heute – es sei denn, es kam zu einer großangelegten Invasion, die ja bereits im Gange war, wenn auch aus einer anderen Richtung.
Aber was, wenn er doch Erfolg hatte?
Er war damit beschäftigt, nachdenklich die Schiffe und die fernen Eismenschen anzustarren, als Magnus herankam und vor dem Hauptmann salutierte. Er musterte einen Moment lang Marcus’ Gesichtsausdruck und runzelte leicht die Stirn.
»Das hier war also nicht dein Plan, wenn ich recht verstehe?«, fragte der alte Kursor.
Marcus sah ihn blinzelnd an. »Hast du jetzt vollkommen den Verstand verloren?«
»Ich nicht; aber jemand anders schon«, knurrte der ältere Mann.
Octavian sah sie beide schief an und tat dann so, als ob er sie ignorierte.
Marcus schüttelte den Kopf und versuchte, die Orientierung und seine Zielstrebigkeit zurückzugewinnen. »Die Zeiten«, sagte er, »ändern sich.«
Magnus brummte übellaunig, beinahe gekränkt, etwas Bestätigendes. »Das haben sie so an sich.«
15
Ihre Entführer hatten Isana gefesselt und ihr eine Kapuze über den Kopf gezogen, bevor sie sie aus ihrem Zimmer geführt hatten. Ihr drehte sich der Magen um, als sie sich wieder in die Luft erhoben: Zwei Windwirker riefen mit vereinten Kräften eine einzelne Windsäule herbei, die das Gewicht von drei Menschen tragen konnte. Isana war nicht passend für eine derartige Reise gekleidet. Der Wind sorgte dafür, dass sich ihre Röcke aufblähten und ihre Beine zur Schau stellten.
Sie unterdrückte ein Auflachen. Die tödlichste Feindin des Reichs hatte sie gerade aus dem Herz der am besten bewachten Stadt auf der ganzen Welt Carna geraubt, und sie machte sich Sorgen um mangelnde Sittsamkeit. Das war lächerlich – aber nicht gerade lustig. Wenn sie erst zu lachen begann, war sie sich nicht sicher, ob es nicht nahtlos in einen Schrei übergehen würde.
Angst war nichts, womit sie sich je hatte abfinden können. Sie hatte bei anderen – und nicht nur bei Metallwirkern, die schummeln konnten – erlebt, dass sie all ihre Gefühle hinter einer kalten, stahlharten Barriere aus rationalen Gedanken einmauerten. Sie hatte Männer und Frauen gekannt, die Furcht ebenso heftig wie sie verspürten, und sich einfach in ihr Vorhandensein fügten. Manche von ihnen schien die Angst einfach ununterbrochen zu durchströmen, ohne je Halt zu finden. Andere schienen die Angst sogar zu packen, sie in wutentbrannte Gedanken und Taten zu kanalisieren. Gräfin Amara bot ein hervorragendes Beispiel für Letzteres.
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