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Codex Alera 06: Der erste Fürst

Codex Alera 06: Der erste Fürst

Titel: Codex Alera 06: Der erste Fürst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
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Höhle, einer großen, deren Wände zu glatt waren, als dass sie natürlichen Ursprungs hätte sein können. Die Wände, der Boden und zwei stützende Säulen waren alle vom Kroatsch bedeckt. Die wachsartige grüne Substanz pulsierte vor gespenstischem Licht. Flüssigkeiten strömten unter ihrer Oberfläche dahin.
    Isana reckte den Hals und hielt Ausschau nach Araris. Das Herz pochte ihr auf einmal bis an die Rippen.
    Zwei weitere Wachen schleiften ihn in Isanas Gesichtsfeld. Sie rissen ihm die Kapuze vom Kopf und ließen ihn auf den Höhlenboden fallen, wo er zusammenbrach. Isana konnte sehen, dass er zahlreiche Schürfwunden und Prellungen davongetragen hatte, und sie spürte angesichts des Bluts und der Blutergüsse eine körperliche Aufwallung von Schmerz im Herzen – abgesehen davon schien er keine sichtbaren schweren Verletzungen davongetragen zu haben. Er atmete, aber das hieß natürlich noch nicht, dass er unversehrt war. Er verblutete vielleicht innerlich, während sie ihn noch anstarrte.
    Es war kein bewusster Entschluss, aber plötzlich war sie damit beschäftigt, mit ihren Wachen zu ringen und zu versuchen, zu Araris zu gelangen. Sie stießen sie brutal zu Boden. Ihr Wangenknochen drückte eine Delle ins Kroatsch .
    Es war demütigend, wie lässig und mühelos sie ihr die Wahlfreiheit genommen hatten. Sie verspürte lodernden Zorn und hatte plötzlich das Bedürfnis, mithilfe von Bächlein ernsthaft darauf zu reagieren. Sie kämpfte den Impuls nieder. Sie war überhaupt nicht in der Lage, dieser Kraft etwas entgegenzusetzen. Bis sie eine bessere Gelegenheit hatte – bis sie und Araris eine bessere Gelegenheit hatten –, erfolgreich zu fliehen, würde es das Klügste sein, keinen Widerstand zu leisten. »Bitte!«, sagte sie. »Bitte lasst mich nach ihm sehen!«
    Vom Kroatsch gedämpfte Schritte näherten sich. Isana hob den Blick so weit, dass sie die nackten Füße einer jungen Frau sehen konnte. Ihre Haut war blass und leuchtete beinahe. Ihre Zehennägel waren kurz und zeigten das glänzende Grünschwarz von Vordchitin.
    »Lasst sie aufstehen«, murmelte die Königin.
    Die Männer, die Isana festhielten, zogen sich sofort zurück.
    Isana wollte nicht weiter aufschauen – aber es kam ihr irgendwie kindisch vor, es nicht zu tun, so als ob sie zu viel Angst gehabt hätte, das Gesicht vom Kopfkissen zu heben. Also stemmte sie sich vom Boden hoch, bis sie auf den Knien lag, ließ sich auf ihre Fersen sinken, zog ihr windzerzaustes Kleid zugleich mit ihren gleichermaßen zerfetzten Nerven zurecht und hob den Blick.
    Isana hatte Tavis Briefe gelesen, in denen er die Vordkönigin beschrieben hatte, der er unter der jetzt zerstörten Stadt Alera Imperia begegnet war, und hatte mit Amara über ihre eigenen Erfahrungen mit dem Geschöpf gesprochen. Sie hatte mit der blassen Haut und den dunklen Facettenaugen gerechnet, mit der verstörenden Mischung aus fremdartiger Widersprüchlichkeit und alltäglicher Vertrautheit. Sie hatte damit gerechnet, dass die Vordkönigin eine gespenstische Ähnlichkeit mit dem Maratmädchen Kitai aufweisen würde.
    Sie hatte nicht , überhaupt nicht damit gerechnet, ein anderes schmerzlich vertrautes Gesicht von den schrägstehenden Augen und der exotischen Schönheit von Kitais Antlitz umschlossen zu sehen. Obwohl die Königin Kitai ähnelte, glich sie ihr nicht aufs Haar. In ihrem Gesicht vermischten sich fast unmerklich unterschiedliche Züge, so wie die Gesichter von Eltern sich in dem ihres Kindes zusammenfügen. Das andere Gesicht, das in dem Antlitz der Königin schlummerte, war eines, das Tavi nie gesehen hatte – das seiner Tante, Isanas Schwester, die in der Nacht seiner Geburt gestorben war. Alia.
    Isana sah das Gesicht ihrer jüngeren Schwester in dem der Vordkönigin, gedämpft, aber doch wahrnehmbar, wie ein Stein, der still unter einer Schneedecke lag. Das Herz tat ihr weh. Nach all den Jahren ging der Verlust ihr immer noch nahe, und sie erinnerte sich immer noch an den Moment fürchterlicher Erkenntnis, als sie das schlaffe Bündel aus schlammbespritzten Gliedmaßen und zerlumpten Kleidern auf dem kalten Steinboden der niedrigen Höhle angestarrt hatte.
    Der abwesende Gesichtsausdruck der Vordkönigin veränderte sich plötzlich, und ihr Kopf zuckte vor Isana zurück, als ob sie etwas Widerwärtiges gerochen hätte. Dann, gleich darauf, befanden sich die Augen der Vordkönigin direkt vor ihren, scheinbar ohne dass sie den Abstand zwischen ihnen durchquert

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